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Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Titel: Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Callahan Henry
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da rief Rusty an. Ich starrte auf das Display, weil es so unwirklich erschien, dass Rusty mich anrief, während ich hier in Bayside war und bei Pappy Gemüse kaufte.
    Diese Fragen rasten mir nacheinander durch den Sinn: Ist er hier in der Stadt? Was will er? Soll ich drangehen? Beim letzten Klingeln vor der Mailbox nahm ich ab.
    »Hallo.«
    »Wo bist du?« Er klang so klar, als stünde er neben mir, sein Atem an meinem Ohr. Mir rutschte das Herz in die Hose, wie ein Aufzug, bei dem das Kabel gerissen ist.
    »In Alabama. Wo bist du?«
    »In Atlanta, wo wir wohnen.«
    »Ach, Rusty, warum hast du gestern einfach aufgelegt? Das mag ich gar nicht.«
    »Tut mir leid. Ich war sauer. Hör zu, du musst nach Hause kommen. Dein Vater braucht dich, hier stapelt sich die Post, und –«
    »Nein.« Damit unterbrach ich ihn.
    »Doch.« Er hustete. »Du musst nach Hause kommen. Hier sind tausend Dinge zu erledigen. Der Kammerjäger kam nicht rein, weil ich bei der Arbeit war. Der Gärtner sagt, er hat einen Sprinklerkopf kaputtgemacht. Anna Morehead sagt, du hast das Treffen für die Wohltätigkeitsorganisation deiner Mutter vergessen. Du kannst nicht länger dortb
    Er hatte recht.
    Ich setzte mich ein paar Schritte von Pappy entfernt auf eine Bank am Gehweg. »Wir haben eine Familie«, sagte Rusty. »Meine Güte, dein Dad hat mich schon zehnmalangerufen. Meine Sekretärin macht Besorgungen für ihn. Müsstest du nicht für ihn da sein? Für Lil?«
    »Was?«
    »Du hast einfach alle im Regen stehenlassen, Ellie. Alle. Nicht nur mich.«
    Schuldgefühle nagten an mir, aber ich verdrängte sie. »Lil ist im College und total happy. Ich telefoniere jeden Tag mit ihr. Dad ist ein erwachsener Mann, deine Sekretärin sollte keine Besorgungen für ihn machen müssen. Mit ihm habe ich auch gesprochen … es geht ihm gut. Ich bin erst seit ein paar Tagen weg.«
    »Das ist doch albern.« Seine Stimme veränderte sich, wurde sanfter, weicher. »Baby, es tut mir weh, dass du weggefahren bist, obwohl ich wollte, dass du dableibst.«
    »Rusty, bitte hör auf.«
    »Aber ich vermisse dich.«
    »Ich vermisse dich auch. Es würde dir hier gefallen. Wirklich.«
    »Bestimmt, aber ich muss arbeiten«, sagte er. In der Telefonverbindung war nur noch Leere zu hören. »Komm nach Hause«, sagte er schließlich.
    »Das klingt wie ein Befehl.«
    »Begreifst du, was du tust? Ich wollte dir bloß sagen, dass ich dich gerne sehen würde, und du tust so, als würde ich dich herumkommandieren.«
    »Ich muss jetzt weiter.«
    »Weiter?«
    »Ja. Ich mache gerade Besorgungen. Ich rufe dich später an.« Ich legte auf, und mein Magen zog sich zusammen. Gefühlschaos bringt immer eine Art Sinnesaufladung mit sich, wie eine laute Rockband, die dissonante Akkorde spielt, und dieses Chaos hatte bisher verhindert, dass ichin Worte fassen konnte, was ich immer verdrängt hatte. Aber hier in Bayside fiel mir endlich der richtige Begriff ein: Manipulation. Ein Wort wie ein Messer, das ich nie an mich oder jemanden, den ich liebte, herangelassen hatte. Aber jetzt stand dieses Wort so deutlich vor mir, als wäre es in Großbuchstaben über den ganzen Horizont geschrieben.
    Rusty setzte seine Worte und seine extremen Gefühle, nämlich Freundlichkeit und Wut, ein, damit ich genau das tat und sagte und war, was ich für ihn sagen und tun und sein sollte.
    Damit war jetzt Schluss.
    Ich ging zu Pappy, der sich den Schweiß von der Stirn wischte, und nahm die Unterhaltung wieder auf.
    »Also«, sagte ich, »wie werden denn nun kernlose Wassermelonen gezüchtet? Ich meine, welche Kerne benutzt man dafür?«
    »Ich weiß es nicht genau«, sagte er. »Wirklich nicht. Es gibt heutzutage so vieles, was mir ein Rätsel bleibt.«
    »Mir auch«, sagte ich, zahlte für meine Einkäufe und ließ das Wechselgeld liegen.
    »Haben Sie einen schönen Tag, Miss Ellie. Und lassen Sie nicht zu, dass jemand Ihnen den verdirbt.«
    »Bestimmt nicht«, sagte ich im Weggehen und merkte auf einmal, dass er seinen Abschiedsgruß verändert, nicht sein übliches »Tun Sie, was Sie tun wollen« gesagt hatte.
    Das Büro des Landrats befand sich am anderen Ende der Hauptstraße in einem Betonklotz. Die Marmorstufen waren an den Rändern abgeschlagen und von Rissen durchzogen wie die Beine einer alten Frau, die ihr Leben im Stehen verbracht hatte. An den Holztüren waren Eisengriffe,so groß wie mein Arm. Ich betrat die klimatisierte Eingangshalle und zitterte. Rechts saß eine ältere Dame mit einer Brille auf

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