Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
nur die Fakten. Wenn Sie Fakten wollen, können wir die später wiederholen. Jetzt hören Sie erst mal die Geschichte.«
Babs steckte den Block wieder in die Tasche. »Verstehe«, sagte sie.
»In alter Zeit, lange vor mir, kamen die Menschen ins Haus, um sich auszuruhen oder zu feiern, Leute zu treffen oder Urlaub zu machen. Meine Urgroßmutter, so heißt es, hatte in Atlanta eine beste Freundin, Mitzi Burroughs, die einen Monat hier verbrachte. In diesem einen Monat fiel Mitzis wohlgeordnetes Leben völlig auseinander. Sie lernte hier eine Frau kennen, freundete sich mit ihr an und fand dann heraus, dass diese Frau seit Jahren die Geliebte ihres Mannes war. Zur gleichen Zeit entdeckte sie auch ihr Händchen fürs Töpfern, und als sie an einem Kurs teilnahm, traf sie einen Mann, der ihren Mädchennamen trug, nur um dann zu erfahren, dass ihre wohlerzogene Tante, Hochadel der feinen Gesellschaft in Atlanta, einst ein uneheliches Kind geboren und es bei Verwandten in Alabama zurückgelassen hatte.«
»Wow«, sagte Babs, die die Füße unter sich gezogen hatte.
Ich lehnte mich zurück. »Und was ist dann passiert?«
Birdie lachte. »Sie hat es mit der Angst bekommen. Sie fuhr nach Atlanta zurück und riet all ihren Bekannten, niemals ins Sommerhaus zu kommen, wenn sie nicht wollten, dass ihr Leben auseinanderfällt. Jedes Mal, wenn sie auf einer Party etwas getrunken hatte, redete sie über das Sommerhaus, bis diese Geschichten ein Eigenleben entwickelten und zu einem Mythos wurden.«
»Was hat sie mit all dem Wissen gemacht? Ihren Mann verlassen? Ihre Tante zur Rede gestellt? Einen Töpferladen aufgemacht?«, fragte Babs.
»Nein, das hätte sie sicher alles tun können, hat sie aber nicht. Nichts. Sie hat gar nichts getan. Sie ist in ihr altesLeben zurückgekehrt. Die Wahl hat man. Man kann sich etwas für sein Leben wünschen, oder man kann der Wahrheit ins Gesicht sehen, aber manchmal kann man nicht beides haben.«
»Und hat der Mythos mit nur einer Frau begonnen?«, fragte Babs.
»Sehen Sie, so ist das«, sagte Birdie. »Irgendjemand muss ein Gerücht doch erst in die Welt setzen, nicht? Und alles Weitere geschah aus geweckter Neugier. Was Mitzi als Warnung gemeint hatte, war für viele eine Herausforderung. Einige wollten wirklich etwas über ihr Leben herausfinden, sie suchten und fanden. Vielen ist das gelungen.«
»Und was ist es Ihrer Meinung nach an Ihrem Haus … das das mit Menschen macht?«
»Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich weiß nur, wenn man die Wahrheit wirklich sucht, dann findet man sie oft in der Stille hier. Es ist vielleicht nicht das, was man hören will, aber wenn man hinhört, nimmt man etwas wahr. Man entdeckt überall vermeintliche Zufälle.«
Babs beugte sich eifrig vor. »Aber warum dieses Haus? Warum hier?«
Birdie nippte an ihrer Limonade und lächelte, ohne zu antworten.
»Warum hier?«, fragte Babs erneut.
Birdie ließ den Motor an. »Keine Ahnung. Sie haben hoffentlich nicht geglaubt, ich könne die Frage nach dem Warum beantworten.«
Hutch beugte sich zu mir, sein Atem war warm. Er flüsterte mir ins Ohr: »Wusstest du davon?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nur den Teil, dass, wenn man herkommt, sich das Leben ändert.«
»Lasst uns an den Strand gehen. Alle einverstanden?«, fragte Birdie.
»Perfekt«, sagte ich und lehnte mich nach hinten.
Während wir in Blindes Vertrauen über das Wasser sausten, hielt ich mein Gesicht in den Fahrtwind, bis Birdie im kniehohen Wasser den Anker setzte und wir aus dem Boot sprangen. Babs äugte über die Reling und biss sich auf die Lippe. »Ähm, ich warte einfach hier.«
Onkel Cotton hielt ihr die Hand hin. »Kommen Sie. Es wird Ihnen gefallen. Krempeln Sie die Hosenbeine hoch und springen Sie rein.«
Babs lächelte ihm zu, und er half ihr lachend über die Reling.
Wir wateten auf den Strand zu, wo ein Streifen nassen Sandes uns sagte, dass die Ebbe eingesetzt hatte. Kleine Muscheln lagen wie Sterne auf dem Strand. Die winzigen Wellen plätscherten in unseren Ohren.
Ich lächelte Hutch zu. »Und, glaubst du, dass ein einziger Ort ein Leben ändern kann?«
Er zeigte auf Birdie und Babs, die nebeneinander den Strand entlangliefen und immer noch ins Gespräch vertieft waren. »Sieht ganz so aus.«
Ich zog mit dem Zeh eine Linie in den Sand. »Meine einzigen Besuche an der Golfküste waren die Ausflüge mit meinen Kommilitoninnen im College. Weißt du noch, als du und ich ein langes Wochenende im Februar hier waren?
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