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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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kleinen Ball gegen die Wand wirft, und der Mittlere bekommt fürchterlich Angst und kuschelt sich schnell in die Arme des Vaters, bis dieser unserem Sohnschwört, es sei nur ein Scherz gewesen. Manchmal wiegt Mitohnegesicht die Kleine, während ich schreibe. Weder sie noch ich haben Angst vor ihm, dabei wissen wir, dass es sich nicht um einen Scherz handelt. Sie ist die Einzige, die ihn sehen kann, sie lächelt ins Leere, mit allem Charisma, das sie entfalten kann. Bald bekommt sie den ersten Zahn.
    *
    In diesem Viertel kommt der Straßenverkäufer mit den Tamales um acht Uhr abends vorbei. Dann rennen wir raus und kaufen ein halbes Dutzend süßer Tamales. Das heißt, raus gehe ich nicht, stecke aber zwei Finger in den Mund und pfeife, dann läuft mein Mann auf die Straße, hinter dem Verkäufer her. Wenn er zurückkommt, sagt er beim Auspacken der Tamales: Ich habe eine Person geheiratet, die pfeift. An unserem Fenster kommen auch Nachbarn vorbei, sie grüßen. Obwohl wir die Neuankömmlinge sind, behandeln sie uns freundlich. Alle kennen sich untereinander. Sonntags essen sie zusammen in dem gemeinsamen Hof. Sie laden uns dazu ein, aber wir schließen uns nicht an; wir grüßen vom Wohnzimmerfenster aus und wünschen ihnen einen schönen Sonntag. Es ist eine Ansammlung alter Häuser, alle ein bisschen heruntergekommen oder baufällig.
    *
    In jenem anderen Viertel kannte ich keinen. Ich bemühte mich, nur zum Essen, Duschen und Lesen da zu sein; die Nacht verbrachte ich fast nie zu Hause. Ich schlief nicht gerneallein in meiner Wohnung. Lieber überließ ich sie entfernten Bekannten und suchte mir selbst andere Zimmer, geliehene Sessel, geteilte Betten, um dort die Nacht zu verbringen.
    Ich habe Nachschlüssel zu meiner Wohnung an viele Leute vergeben. Andere Menschen haben mir Nachschlüssel zu den Ihrigen gegeben. Das war nicht Großzügigkeit, sondern Gegenseitigkeit.
    *
    Freitags, aber nicht jeden Freitag, kam Moby. Er war der erste, der einen Schlüssel hatte. Wir begegneten uns fast immer in der Tür. Ich war auf dem Weg zur Bibliothek, und er kam zum Duschen, weil es bei ihm zu Hause, in einem anderthalb Stunden von der Stadt entfernten Dorf, kein heißes Wasser gab. Anfangs blieb er nicht zum Schlafen, ich weiß nicht, wo er schlief, aber er badete in meiner eingebauten Badewanne und brachte mir dafür irgendeine Pflanze mit oder kochte einen Eintopf, den er in den Kühlschrank stellte. Er hinterließ mir Zettel, die ich abends, wenn ich zum Essen heimkam, vorfand: »Ich habe Dein Shampoo benutzt. Danke, M.«
    Moby hatte eine Wochenendarbeit in der Stadt. Er verkaufte falsche alte Bücher, die er selbst in seiner kleinen Hausdruckerei herstellte. Die wohlhabenden Intellektuellen aus den Vierteln im Süden kauften sie ihm zu unvernünftig hohen Preisen ab. Er stellte auch Neudrucke von Unikaten nordamerikanischer Klassiker in entsprechend einzigartigen Formaten her (bemerkenswert, der Hang der Gringos zu Unikaten).Er hatte ein illustriertes Exemplar der
Leaves of grass
im Programm, ein mit Bleistift geschriebenes Manuskript von
Walden
und eine Tonbandaufnahme der Essays von Ralph Waldo Emerson, vorgelesen von seiner polnischen Großmutter. Aber die meisten seiner Autoren waren »Dichter der Zwanziger- und Dreißigerjahre aus Ohio«. Das war seine Nische. Er hatte eine Theorie über die Höchstspezialisierung entwickelt, mit der er Erfolge verbuchte. Die Theorie hatte natürlich nicht er, sondern der gute Herr Adam Smith entwickelt, aber er glaubte, es sei seine Theorie. Ich sagte ihm: Das ist die Nadel-Theorie von Adam Smith. Und Moby erwiderte: Ich spreche über
American Poets.
Das Buch, das er damals zu verkaufen versuchte, hieß
Can We Hold Hands Out Here?
Er hatte zehn Exemplare und schenkte mir eins davon. Es handelte sich um einen sehr schlechten Lyriker, der, wie Moby auch, aus Cleveland, Ohio, stammte.
    Bevor er in sein Dorf zurückfuhr, kam er manchmal in meine Wohnung, um noch mal ein Bad zu nehmen. Zum Abendessen aßen wir die Reste von dem, was er am Freitag gekocht hatte. Wir sprachen über die Bücher, die er verkauft hatte; über Bücher im Allgemeinen. Manchmal schliefen wir sonntags miteinander.
    *
    Mein Mann liest einige dieser Absätze und fragt, wer Moby ist. Niemand, sage ich. Moby ist eine literarische Figur.
    *
    Aber Moby existiert. Oder vielleicht schon nicht mehr. Damals aber existierte er. So wie auch Dakota existierte, die aus dem gleichen Grund wie Moby in meine Wohnung kam: Sie

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