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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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hatte keine Dusche. Sie war die Zweite, die Schlüssel bekam. Sie kam auf ein Bad und blieb manchmal zum Schlafen. Sie hat mir auch Nachschlüssel für ihre Wohnung gegeben. Sie wohnte mit ihrem Freund im Keller einer Villa und entwarf seit Monaten ein Bad, das sie nie einbauten. Ich verbrachte die Nächte gerne in diesem Keller ohne Dusche, zog mir Dakotas Nachthemden an und probierte ihre Bettseite aus.
    Dakota arbeitete nachts, sie sang in Bars und manchmal auch in der Metro. Ihr Gesicht war wie aus einem Stummfilm, die Lider zwei riesige Halbmonde, ein sehr kleiner Mund und hochmütige Augenbrauen. Mit ihrem Freund zusammen hatte sie eine Band. Er spielte Harmonika und kam aus Wyoming – einer jener Gringos, die gut aussehen, obwohl sie fast durchsichtige Augen haben. Er hatte eine Narbe quer über das Gesicht. An dem Tag, als ich ihm sagte, dass ich für immer die Stadt verließ, weil ich zum Gespenst geworden war, streichelte er meine Stirn. Damals konnte ich nicht erkennen, ob das eine Antwort war. Ich wollte sein Gesicht berühren, traute mich aber nicht, auf die Narbe hinzuweisen.
    *
    Der Mittlere kommt aus der Schule und zeigt mir sein Knie:
    Schau dir den Schnitt an.
    Was ist passiert?
    Ich bin über den Schulhof gerannt und ein Haus ist auf mich draufgestürzt.
    Ein was?
    Ein Haus.
    *
    In diesem Haus gibt es einen neuen Kühlschrank, ein neues Möbel neben dem Bett, neue Pflanzen in Tontöpfen. Mein Mann wacht gegen Mitternacht aus einem Albtraum auf. Er beginnt zu erzählen, während ich etwas anderes träume, aber ich höre alles von Anfang an, als hätte ich die ganze Nacht auf dieses Gespräch gewartet. Er sagt, dass wir in einem wachsenden Haus leben. Neue Zimmer tauchen auf, neue Gegenstände, die Decke hebt sich auf ein anderes Niveau. Die Kinder sind da, aber immer in einem anderen Zimmer. Der Mittlere ist in Gefahr, und wir finden die Kleine nicht. Auf der einen Seite unseres Betts steht ein Möbelstück, das auseinanderklappt und Musik von sich gibt. In diesem Möbel entdeckt er einen Baum, einen abgestorbenen Baum, der aber fest mit einer der Schubladen verwachsen ist. Dieser Baum ist Schuld an dem Zauber des wachsenden Hauses; er versucht, ihn auszureißen; die Äste strecken sich und kratzen seine Hoden. Mein Mann weint. Ich umarme ihn und gehe dann ins Kinderzimmer. Ich gebe dem Mittleren einen Kuss und schau in die Wiege, ob das Baby noch atmet. Es atmet. Aber ich kriege keine Luft.
    *
    Ich mochte Friedhöfe, Parks und die Dachterrassen auf den Gebäuden, vor allem aber Friedhöfe. Irgendwie lebte ich in einem Zustand der andauernden Kommunion mit den Toten. Aber nicht auf eine bedrängende Weise. Die Lebenden hingegen, die mich umgaben, bedrängten mich. Moby war unangenehm bedrängend, Dakota manchmal auch. Die Toten und ich nicht. Ich hatte Quevedo gelesen und vielleicht allzu wörtlich, wie ein Gebet, verinnerlicht, was er über das Leben im ständigen Gespräch mit den Verstorbenen schreibt. Häufig besuchte ich ein kleines Pantheon, fünf Blocks von meiner Wohnung entfernt, weil ich dort lesen und nachdenken konnte und nichts oder niemand mich störte.
    *
    Eine Struktur voller Löcher schaffen, damit man immer zur Buchseite vordringen, sie bewohnen kann. Nie mehr als nötig reinstopfen, nie ausstaffieren, weder möblieren noch dekorieren. Türen und Fenster öffnen. Mauern hochziehen und wieder einreißen.
    *
    Wenn Dakota bei mir in der Wohnung war, machte sie Stimmübungen mit dem Eimer, den ich zum Wischen des Bodens benutzte. Sie steckte den ganzen Kopf hinein und produzierte sehr schrille Töne, wie von einer schlecht gestimmten Geige, wie von einem sterbenden Vogel, wie von einer alten Tür. Manchmal, wenn ich nach ein paar Tagen heimkam, fand ich Dakota dort vor, sie lag im Wohnzimmer am Boden – die Lendenwirbelausruhen, erklärte sie – und hatte den blauen Eimer neben sich stehen.
    Warum holst du immer meinen Eimer aus dem Bad?
    Damit deine Nachbarn mich nicht hören.
    Wer?
    Damit ich mich hören kann.
    *
    Mein Mann schreibt schnell; er macht viel Lärm beim Tippen. Er schreibt fürs Kino, und seine Figuren haben eine Stimme und einen Körper. Meine existieren nicht. Er spricht ihre Tiraden nach, wenn er mit einer Seite fertig ist. Dramatisiert sie. Ich eifere meinen Gespenstern nach; bemühe mich, so zu schreiben, wie sie sprechen, keinen Krach zu machen, unsere Phantasmagorien zu erzählen.
    *
    Pajarote sprach wenig. Er studierte Philosophie und wohnte in New Brunswick,

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