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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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Kopf bis zur Schwanzspitze zu fahren.
    *
    Der Mittlere kommt in mein Schlafzimmer, wo ich gerade schreibe.
    Schau mal, Mama, das war unser Haus.
    Wie hübsch.
    Nein, das ist gar nicht hübsch. Es ist ein ganz sehr starker Dinosaurier gekommen, und das Haus ist zusammengekracht.
    Und wer ist das?
    Du, du warst unter dem eingestürzten Dach.
    Und das hier?
    Nichts, das ist nur ein Herz, das da hingemalt war.
    *
    Merke: (Gilberto Owen an Celestino Gorostiza, 18. September 1928) Die Landschaft und alle meine Bestrebungen sind jetzt vertikal. Diese Nordmänner, Mystiker,ohne jedes Anzeichen einer Sinnlichkeit des Auges für die Pore, sind nur ärmliche Musiker. Wir bewegen uns, wach, in einem effektiven, weiten Raum. Sie aber in der Zeit. New York ist die Theorie einer Stadt, die nur in Funktion der Zeit konstruiert ist, Manhattan ist eine Stunde, oder ein Jahrhundert, und die Würmer der Subways untergraben die Stadt, fressen sie Sekunde um Sekunde auf.
    *
    Eines Tages fragte ich Z, ob er jemals Ezra Pound gesehen habe. Nein, sagte er, aber ich habe ihm vor Jahren ein paar Gedichte geschickt, und er hat sie veröffentlicht. Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass ich ihn vor einigen Tagen in einer Metrostation gesehen habe. Na, dass er dich dann wahrscheinlich auch gesehen hat.
    Ich nehme an, die dunkelhaarige Frau sah mich auch. Vielleicht sah sie mich sogar dann, wenn ich sie nicht sehen konnte, wenn ein Buch mich ablenkte oder wenn ich bis zu meiner Haltestelle an der 116. Straße schlief. Vielleicht suchte auch sie mich in der Untergrundmenge und hatte nur dann, wenn sie mich sah, und sei es nur in einem Aufblitzen, das Gefühl, dass ihr bescheuerter Tag sich gelohnt hatte.
    *
    Ich steige nur aus dem Bett, um den Kindern Essen zu machen. Ich schaue auf meine Beine, sie sehen wie zwei Elefantenrüssel aus.
    *
    Iselin machte es wie die Männer. Sie war viel größer und kräftiger als ich. Wenn wir in ein Hotelzimmer kamen, warf sie mich mit ungeheurer Gewalt aufs Bett, befahl mir, mich auszuziehen – ich, der ich klein von Körperbau bin, habe schnell gelernt, untertänig zu sein –, und stürzte sich dann auf meinen nackten Körper mit größerer Selbstgewissheit als revolutionäre Truppen auf eine Stadt, die bereits kapituliert hat. Wenn sie über mir war, angeschwollen von den Säften vor dem Orgasmus, hatte ihr Gesicht eine leichte, aber beunruhigende Ähnlichkeit mit Präsident Álvaro Obregón, der vor ein paar Monaten gestorben war, also lag ich stramm und schloss beim Orgasmus lieber die Augen.
    *
    Hören Sie, Herr Collyer?
    Sprechen Sie, Owen.
    Haben Sie ein Gespenst?
    Mehrere.
    Wer sind sie, wo wohnen sie?
    Bei allem Respekt, mein lieber Owen, aber was zum Teufel geht Sie das an?
    *
    Ich kam darauf, dass ein
speakeasy
ein geeigneter Ort war, um mit Iselin hinzugehen. Da die meisten illegalen Klubs dieser Art in der Bowery, wo sie mich gerne traf, endgültig zugemacht hatten, bestellte ich sie zum Metroausgang der 125. Straße, in der Nähe meiner Wohnung. Ich wartete auf sie. Spät tauchte sie auf,als
garçonne
gekleidet, das Haar hochgesteckt unter einem Hut. Manhattan beginnt man von der Subway aus zu sehen, sagte sie, während sie mich fest umarmte, eher brüderlich als verheißend. Wer die Stadt von oben sieht, vom Woolworth-Gebäude aus, sieht gar nichts, lebt im Modellbau einer Stadt. Iselin war so etwas wie ein Paul Morand, und derartige Bemerkungen verzieh man auch nur ob des Wunders ihrer Beine.
    Wir sind in eine Spelunke in der 132. Straße gegangen. Wir blieben nicht lange dort, weil ich sicher war, dass Nella Larsen auftauchen würde, und ich sie nicht treffen wollte. Aber wir tranken schnell und ordentlich. Nach der vierten Runde schenkte meine Begleiterin ihren Hut einem Saxofonisten und sagte zu ihm:
You’re the cat’s pijamas boy.
In jenem Augenblick begriff ich die Sprachwendung nicht, doch etwas in mir verstand, und Eifersucht brachte mein Blut in Wallung. Ich trank zu viel, schlug den Saxofonisten mit seinem Instrument, holte mir ihren Hut zurück und starb erneut. Ich weiß nicht, an was, und das war mir auch egal. Als ich aufwachte, lag ich auf der Dachterrasse meines Hauses, Iselins Kopf ruhte auf meiner Brust, ihr Kinderhut auf meinem Kopf, meine Hand streichelte ihr glattes Haar, das sich über meine Schulter ausbreitete. Ich glaube, ich habe sie wirklich geliebt.
    Als sie aufwachte und wir vom Boden aufstanden, über die Dachterrasse und dann hinunter zum Frühstücken

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