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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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nichts zu Federico gesagt, als ich die Frau mit dem roten Mantel an uns vorübergehen sah, sie trugeinen Holzstuhl – anmutig und ein wenig fragil, ganz wie sie –, ich fuhr vom Boden hoch, als hätte ich eine Rakete im Hintern. Ich ließ Federico dort stehen und folgte ihr durch die Bahnstation bis zur Straße. Doch als sie an die Ausgangstreppe kam, stieg sie nicht hoch, ging nicht rauf zur Straße. Sie kehrte um. Ich winkte ihr zu, aber ich glaube, sie hat mich nicht gesehen, denn sie ist vorbeigelaufen, zurück zur Station.
    *
    Was ist denn nun mit dem Erinnern der Zukunft?, fragte ich Homer eines Tages, als wir uns mit Schokoladeneis und Kokain vollstopften.
    Du bist ein Idiot, das bist du. (Er benutzte den Begriff
moron
, und da ich das Wort nicht kannte, wusste ich dieses erste Mal, da er es benutzte, nicht, ob es sich um Lob oder Tadel handelte.)
    Wie das?
    Du bist doch ein Romancier, oder?
    Ich hab ein paar lyrische Romane geschrieben, zuweilen im Licht und zuweilen im Schatten von André Gide.
    Dann bist du ein schlechter Romanschreiber, aber immer noch Romanschreiber.
    Zugestanden.
    Wenn du dich dem Romanschreiben widmest, dann widmest du dich der Verdoppelung der Zeit.
    Ich glaube, es handelt sich eher darum, die Zeit einzufrieren, ohne die Bewegung der Dinge aufzuhalten, ein bisschenso, wie wenn man im Zug fährt und durchs Fenster schaut.
    Und deshalb ist es auch normal, dass du als Romancier ein Idiot bist.
    *
    Spazieren ging ich kaum in dieser Stadt, in der jedermann her umspaziert. Mein Tag verging vor einem Schreibtisch, an dem ich dazu verdammt war, Amtsschreiben aufzusetzen. Aber eines Nachmittags las ich eine Meldung, die mich in so gute Laune versetzte, dass ich alles stehen und liegen ließ und raus auf die Straße ging. Ein junger Ehemann forderte vor dem Richter des Newarker Gerichts die Scheidung, weil ihm seine Verlobte bis zur Hochzeitsnacht verschwiegen hatte, dass sie an Stelle des rechten Beins eine Holzprothese hatte. Er hatte ihr das falsche Bein als Beweisstück für seine Klage entwendet, und sie hatte ihn wegen Diebstahls angezeigt. So weit reichte die Meldung. Es war eine perfekte Geschichte, die nach einem Schluss verlangte, den ich vielleicht noch in derselben Nacht geschrieben hätte, wenn nicht eine andere Geschichte dazwischengekommen wäre, die mich von allem Übrigen ablenkte.
    Ich verließ das Generalkonsulat in autoliterarischer Laune und lief durch die Straßen im Süden der Stadt, ein wenig wie diese Figur von Edgar Allan Poe, die ohne klaren Vorsatz den Menschenmengen folgt. Als ich an einer Ecke über die Straße ging, sah ich eine Frau. Es war eine dieser Skandinavierinnen, die nie in die mächtige Klasse der United aufsteigen,die aber alles rechtfertigen, alles Petroleum, das die Ozeanliner ins Meer speien, all die Kilo Zement, die auf die Insel der armen Manhattoes ausgeschüttet wurden, all die fettigen Hamburger, alle Latrinen, Kakerlaken, die stolperige Sprache der Neuankömmlinge, die ein
sunny-side-up
zum Frühstück bestellen. Ich glaube, das war mein dritter Tod.
    Es muss passiert sein, als ich die Avenue zu der Straßenecke hin überquerte, an der sie stand. Sicherlich hat mich einer dieser verrückten Taxifahrer angefahren. Danach bin ich weitergegangen und habe mich neben eine Straßenlaterne gestellt, um sie besser zu sehen. Sie machte zehn Schritte in die eine, zehn Schritte in die andere Richtung. Spitze, Absatz, Spitze Absatz. Immer zehn. Sie hatte knochige Füße, sahnefarben, betont durch die dunklen Sandalen mit den zwei Bändern, die über die schmalen Knöchel hochkletterten und auf halber Wade in einer Schleife endeten. Ein einziges dieser Beine war mehr wert als alle Beine der Insel, oder der Welt. Wenn die arme Einbeinige, die verfrüht geschieden werden würde, wenigstens eines dieser Beine gehabt hätte, dann hätte sich ihr junger Angetrauter nicht betrogen gefühlt und hätte nicht die Scheidung eingereicht. Ich näherte mich ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie drehte sich um, ich wusste nicht, was sagen – auch wenn ich Villarrautia später in einem Brief angelogen habe: »Sie ist Schwedin, und ich bin nicht verliebt in sie, aber ich habe sie als Jungfrau bekommen.«
    In Wahrheit war Iselin weder Schwedin noch Jungfrau. Sie war, um es elegant auszudrücken, eine sehr arbeitsame Norwegerin. Aber ich bin wie ein Stein gefallen. Ich habe michverliebt, wie sich ein Stein in einen Vogel verlieben könnte. An jenem Abend nahm

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