Die Schwert-Legende
nicht.«
»Auch du hast Furcht, nicht?«
Shao lächelte. »Wohl ist mir nicht. Es kann sein, daß er alles damit zerstört. Ich denke an die Worte der Sonnengöttin. Amaterasu hat mich stets davor gewarnt, die Festung zu betreten. Hüte dich vor der Todesfalle! hat sie gesagt.«
»Ich könnte dich begleiten, Shao.«
Die Chinesin lachte. »Das ist gut gesagt, aber du solltest davon Abstand nehmen. Außerdem weiß ich nicht, ob ich gehen werde. Ich muß an meine Aufgabe denken.«
»Dir glaube ich, daß du nicht feige bist.« Ali nickte.
»Ich gehe zu den anderen, um ihnen zu berichten.«
»Gut, tu das. Aber unternehmt bitte nichts.«
Der Junge verschwand lautlos, während Shao zwei Schritte nach vorn ging und dabei versuchte, die Dunkelheit mit ihren Blicken zu durchdringen. Zu erkennen war nichts.
Nur die tiefblauen Umrisse der unheimlichen Festung zeichneten sich ab und darüber ein Teil des gewaltigen Gesichts mit den grausamen Augen, deren Pupillen ebenfalls in einem tiefen Blau strahlten und aussahen wie die Eingänge zu Höhlen.
Shao kam sich plötzlich einsam und verloren vor. In ihr steckte die Gewißheit, daß im Buch des Schicksals eine Seite umgeschlagen worden war, um ein neues Kapitel zu beginnen, was sich auf sie nicht eben positiv auswirkte.
Shao focht einen inneren Kampfaus. Sollte sie gehen, sollte sie es bleiben lassen?
Inzwischen war Yakup seinen Weg gegangen. Er steckte innerlich voller Kraft. Woher er sie nahm, war sein Geheimnis, aber er hatte lange Zeit gehabt, darüber nachzudenken, wie er reagieren würde, wenn er Shimada gegenüberstand.
Er wollte nicht kneifen, er wollte kämpfen, er wollte ihn stellen, mit seinem Schwert, mit seinen Handschuhen, deren wundersame Kraft Wunden heilte.
Den Weg kannte er genau. Yakup war ihn schon oft geschritten. In diesem Fall jedoch überkam ihn der Eindruck, durch ein fremdes Land zu gehen, das er zum erstenmal in seinem Leben betreten hatte. Er sah die Vögel, die sich mit träge wirkenden Flügelschlägen durch die Luft bewegten und so wirkten, als würden sie überhaupt nichts von der Veränderung merken.
Yakup zog sein Schwert. Zu sehen war die Bewegung nicht, nur ein schleifendes Geräusch begleitete ihn für einen winzigen Augenblick. Mit der schmalen Ninja-Waffe in der Hand fühlte er sich wohler. Dieses Schwert besaß keine Ähnlichkeit mit den Waffen, wie sie die Krieger und Ritter im hohen Mittelalter getragen hatten. Es war schmaler, von der Klinge her leicht gebogen, aber nicht weniger wirkungsvoll. Könner, die es führten, sahen aus, als würden sie damit spielen, bis ein Gegner tot oder verletzt zu Boden fiel.
Die Festung rührte sich nicht. So stark sie sich in ihrem Innern verändern konnte, so wenig zeigte sich dies an den Außenmauern. Sie sahen aus, als wären sie für alle Ewigkeiten gebaut worden, um den Weg durch die Zeiten zu überstehen.
Es gab keine Fenster, nicht einmal Luken, dennoch würde der Besitzer der Festung nach draußen schauen können, denn Hindernisse existieren nicht für ihn. Jeder Stein war gefüllt mit einer Jahrtausende alten Magie. Manchmal veränderte sie sich zu einer Pagode, so daß ihre fernöstliche Abstammung auch äußerlich dokumentiert wurde.
Der hatte noch die Feuchtigkeit des letzten Regentages geschluckt. Yakup spürte die Nässe, an einigen Stellen war es auch glatt, und er merkte, daß ihn die Festung regelrecht lockte.
Es war deren Ausstrahlung, die ihn erreichte. Sie schien ihn zu bitten, näher zu kommen und zu versuchen, die Geheimnisse zu ergründen. Yakup hörte nicht auf seine innere Stimme, die ihn warnte, dem Bau nicht zu nahe zu kommen. Was er anderen entsagte, galt für ihn nicht. Er ging den harten, den schlimmen und direkten Weg ans Ziel. Niemand sah ihn.
Weder seine zurückgebliebenen Brüder noch diejenigen, die sich hinter den blauen Mauern aufhielten. Dennoch war er fest davon überzeugt, daß Shimada sein Näherkommen spürte.
Noch stand sein Gesicht über der Festung. Die kalten, blauen Augen blickten ins Leere oder in die Weite des Himmels über Kalifornien. Die schweren, gefiederten Todesboten segelten lautlos über den unsichtbaren Ninja hinweg. Sie gaben nicht einmal ein Krächzen ab, nur ihre matten Flügelschläge waren zu hören.
Der Nebel quoll Yakup wie dicke Tintenwolken entgegen. Er rollte lautlos über den Boden, kam wie ein Gespenst und erreichte auch ihn, den nicht Sichtbaren.
Der Ninja spürte, daß dieser Nebel anders war als ein normaler. Er
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