Die Schwert-Legende
schaute in die Höhe, als wollte er sich den günstigsten Weg aussuchen. Auf den Steinen klebten Blut und Eis. Schwarze Vögel zogen nicht mehr ihre Kreise und beobachteten uns auch nicht. Der Himmel hatte eine Farbe von stumpfem Blei angenommen, denn die Sonne war untergegangen. Es kam mir vor, als würde er trauern.
Suko ging ähnlich vor wie Chinok. Er prüfte zunächst die Belastbarkeit eines Steins durch den Druck seines rechten Fußes und stemmte sich erst dann ab.
Ich schaute ihm zu. Die Kälte und den Wind spürte ich nicht mehr. Man hätte mich ebensogut in die Wüste stellen können, ich hätte das gleiche gefühlt und gespürt wie in diesen Minuten. Da war die Umgebung völlig uninteressant, es interessierte nur die Handlung.
An meinem Arm spürte ich den leichten Druck der Finger. Chinok hatte sich aufgerafft und gab mir ein Zeichen, daß mit ihm wieder zu rechnen war.
Ich schielte ihn an. »Wie geht es?«
»Mehr schlecht als recht, aber immerhin.«
»Okay.«
»Was wird geschehen? Kommen wir noch mal zurück?«
»Ich weiß es nicht. Shimada braucht das Schwert, um seine Macht zu festigen. Es ist aber gleichzeitig die Waffe, mit der getötet werden kann. Der Kampf steht also auf des Messers Schneide.«
»Das Gefühl habe ich auch. Die Klinge ist verdammt schwer!« flüsterte er. »Ich glaube kaum, daß Suko es schafft, sie aus den Steinen zu ziehen, auch wenn er kräftiger ist als ich.«
»Wir müssen es abwarten.«
Mittlerweile war der Inspektor höher geklettert. Er hatte die Hälfte der Strecke bereits hinter sich gelassen. Keiner der Anwesenden sprach mehr ein Wort. Unsere Blicke galten einzig und allein dem Mann, der alles versuchen wollte.
Shao verhielt sich ebenfalls ruhig. Sie war eine hervorragende Kämpferin. Mit ihrer Armbrust verstand sie es, weltmeisterlich umzugehen. In diesem Fall aber nutzte ihr die Waffe nichts. Für Suko wurde die Kletterei beschwerlicher. Die flachen Steinplatten standen nicht mehr so treppen-und terrassenartig vor, er mußte schon einen Platz suchen, an dem er Halt fand.
Der Inspektor machte es geschickt, indem er die Pyramide in Spiralen hochkletterte. So fand er eigentlich stets den optimalen Standpunkt und sah, wenn er den Kopf hob, die Klinge bereits über sich schweben. Vielleicht konnte er den Griff schon erreichen, wenn er sich weit genug streckte.
Das tat er nicht. Chinoks Schicksal war ihm Warnung gewesen. Wenn er das Schwert hervorzog, dann richtig.
Wieder glitt Suko nach links. Er kam mir vor wie ein Bergsteiger, dereine steile Strecke spiralenförmig überwinden wollte, um den Gipfel zu erreichen.
Einmal trafen sich unsere Blicke. Suko nickte mir kurz zu. Er hatte noch nicht aufgegeben.
Auch ich wollte mich nicht mit einer Niederlage abfinden. An der linken Seite spürte ich den Druck des Bumerangs. Die übrigen Waffen verteilten sich kreisförmig.
Suko riskierte einen großen Schritt und hatte es geschafft. Er stand jetzt auf der Spitze des Steinhügels und sah die Klinge genau vor sich. Sie steckte schräg in der Pyramide und kippte etwas von Suko weg. Er mußte sich nur drehen, um den Griff mit beiden Händen packen zu können.
»Denk an das Feuer!« rief ich ihm zu.
»Sei ruhig, Sinclair!« brüllte Shimada. »Das soll ihn nicht davon abhalten.«
»Es kann ihn verbrennen!«
»Sein Schicksal liegt allein in seiner Hand. Er soll das Schwert hervorziehen. Das Feuer wird nur dann eingreifen, wenn es jemand macht, der nicht dafür ausgesucht worden ist. Ich warte nicht mehr länger. Ich will es haben!«
Selbst die lebende Legende, wie Shimada auch genannt wurde, besaß so etwas wie Nerven. Hoffentlich drehte er nicht durch, dann hatte Shao ihren Kopf sehr schnell verloren.
Suko wollte ihn beruhigen. »Ich habe dir gesät, daß ich das Schwert holen werde. Dieses Versprechen halte ich. Verstanden?«
»Ich hoffe es für dich!«
Suko besaß auf der Höhe noch soviel Platz, daß er einen kleinen Schritt vor-und näher an die Waffe herangehen könnt. Wenn er sie anfaßte, brauchte er nur die Arme leicht auszustrecken.
Er tat es!
Plötzlich herrschte eine andere Atmosphäre. Ich hörte nicht mehr das Säuseln des Windes, der Schnee über die freie Eisfläche trieb. Selbst mein Atem war zurückgedrängt worden. Für mich zählte nur die letzte Tat meines Freundes.
Zugleich umfaßte er den waagerechten Teil des Schwertgriffs. Kaum besaß er Kontakt, da schloß er seine Hände zu Fäusten. Jeder wartete auf das Feuer, doch Shimada behielt
Weitere Kostenlose Bücher