Die Schwester der Königin - Gregory, P: Schwester der Königin
und die Freundschaft ihrer Familie war für das englische Heer von größter Bedeutung. Aber Königin Katherine war für ihren Mann mehr als nur eine Verbündete in Kriegszeiten. Sosehr sich Henry auch an mir ergötzte, er blieb stets ihr lieber Junge – ihr wunderbarer, verzogener, verzärtelter Goldjunge. Er mochte mich oder irgendein anderes Mädchen in seine Gemächer befehlen, die unverbrüchliche, unveränderliche Zuneigung zwischen diesen beiden wurde dadurch nie in Mitleidenschaft gezogen. Sie war vor langer Zeit gewachsen, weil allein sie es verstanden hatte, diesen Mann zu lieben, der doch so viel törichter und so viel selbstsüchtiger war als sie. Und der so viel weniger Prinz war als sie Prinzessin.
|100| Winter 1522
Weihnachten hielt der König in Greenwich hof. Zwölf Tage und Nächte lang gab es nur die ausgefallensten und schönsten Gesellschaften und Festmähler. Der weihnachtliche Festmeister – Sir William Armitage – mußte sich für jeden Tag etwas Neues ausdenken. Morgens vergnügten wir uns draußen mit Bootsrennen, Lanzenstechen, Wettbewerben im Bogenschießen, Bärenhatz, Hunderennen, Kampfhähnen oder reisenden Gauklern, Akrobaten und Feuerschluckern. Dann nahmen wir im Großen Saal ein üppiges Mahl ein, mit feinem Wein und Ale und Dünnbier und an jedem Tag mit einer anderen Süßspeise aus kunstvoll modelliertem Marzipan. Nachmittags folgten zur Unterhaltung Theaterstücke, Vorträge, Tänze oder Maskenspiele. Wir alle hatten Rollen zu spielen, mußten Kostüme tragen und so fröhlich sein wie irgend möglich, denn in diesem Winter lachte der König ständig, und das Lächeln wich niemals vom Gesicht der Königin.
Der Feldzug gegen Frankreich war noch nicht entschieden und ruhte während des kalten Wetters. Doch alle wußten, daß es im Frühjahr wieder eine Reihe von Schlachten geben würde, bei denen England und Spanien zusammen gegen den Feind antreten würden. Der König von England und die Königin aus Spanien waren in dieser weihnachtlichen Zeit in jeder Beziehung vereint und dinierten einmal in der Woche allein miteinander. In dieser Nacht schlief er stets in ihrem Bett.
Doch in den übrigen Nächten klopfte George in dem Zimmer, das ich mir mit Anne teilte, an die Tür und sagte: »Er will dich.« Und dann eilte ich im Laufschritt zu meinem Liebsten, meinem König.
Ich blieb nie die ganze Nacht über. Zu Weihnachten hatte man ausländische Botschafter aus ganz Europa nach Greenwich |101| eingeladen, und niemals würde Henry die Königin vor aller Augen brüskieren. Insbesondere der spanische Botschafter legte größten Wert auf Etikette und war ein enger Vertrauter der Königin. Da er meine Rolle bei Hof kannte, mochte er mich nicht, und ich wäre nur sehr ungern mit ihm zusammengetroffen, wenn ich gerade mit rotem Gesicht und völlig zerzaust die Privatgemächer des Königs verließ. Viel besser war es, wenn ich, Stunden ehe der Botschafter zur Messe eintraf, aus dem warmen Bett des Königs schlüpfte und mich vom gähnenden George rasch in meine Kammer begleiten ließ.
Anne wartete dort stets auf mich, hielt heißes Würzbier bereit und hatte das Feuer geschürt, das unsere Kammer wärmte. Ich sprang dann ins Bett, und sie warf mir einen wollenen Umhang über die Schulter, setzte sich neben mich und kämmte mir die wirren Haare, während George noch ein Scheit aufs Feuer legte und an seinem Bierhumpen nippte.
»Sehr ermüdend, diese Arbeit«, seufzte er. »Nachmittags nicke ich meistens ein, kann einfach die Augen nicht mehr aufhalten.«
»Anne bringt mich nach dem Essen ins Bett, als wäre ich ein kleines Kind«, sagte ich mürrisch.
»Was willst du denn?« entgegnete Anne. »Willst du so verhärmt aussehen wie die Königin?«
»Sie ist im Augenblick wirklich kein sonderlich hübscher Anblick«, stimmte George zu. »Ist sie krank?«
»Es ist das Alter, denke ich«, sagte Anne unbarmherzig. »Und die Anstrengung, immer glücklich erscheinen zu müssen. Sie muß völlig ausgelaugt sein. Henry ist wahrscheinlich auch nicht gerade leicht zufriedenzustellen, oder?«
»Nein«, antwortete ich selbstgefällig, und wir mußten alle drei lachen.
»Hat er gesagt, daß er dir ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk machen wird?« fragte Anne. »Oder George? Oder sonst jemandem von uns?«
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat nichts gesagt.«
»Onkel Howard hat einen goldenen Kelch mit unserem Wappen geschickt, den du ihm geben sollst«, meinte Anne. |102| »Er steht gut
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