Die Schwester der Nonne
schüttelte ungläubig den Kopf.
»Warum denn?«
»Ich habe gesündigt.«
»Aber dann muss man Buße tun, und wenn man genug gebüßt hat, wird einem die Absolution erteilt. Ist deine Sünde so schlimm?«
Die Nonne drehte den Kopf zur Seite und kämpfte gegen die Tränen.
»Ja«, schluchzte sie.
Maria schwieg betreten. Wie sollte sie der Unglücklichen helfen? Sie versuchte wieder, den Riegel zu bewegen. Das Schloss war solide.
»Soll ich für dich bei der Äbtissin bitten?«
Dorothea schüttelte den Kopf.
»Sie hat mich foltern lassen.«
»Was? Das glaube ich nicht. Sie soll doch Liebe vermitteln. Was hast du getan?«
»Eine fleischliche Sünde … mit einer anderen Schwester.«
»Heilige Mutter Gottes!« Maria bekreuzigte sich.
»Sie … sie wollte wissen, wer … wer die andere Schwester ist.«
Mit brennenden Augen starrte Maria durch das kleine Geviert.
»Du hast sie verraten?«
Dorothea schluchzte verzweifelt auf.
»Nein, ich habe sie nicht verraten. Aber … unter der Folter … habe ich … ihren Namen geschrien.«
»Wo ist die andere Schwester?«
»Ich weiß es nicht. Sie haben sie auch gefoltert, damit sie die Unzucht gestand. Danach habe ich sie nie wieder gesehen.«
Maria erinnerte sich mit Grausen an das frische Grab, das sie auf dem Friedhof des Klosters gesehen hatte.
»Wie kann ich dir helfen?«
»Du kannst mir nicht helfen. Selbst wenn du die Schlüssel für das Schloss und die Ketten findest, so könnte ich doch nicht fliehen. Meine Beine sind gebrochen.«
Maria kämpfte wieder gegen ihre Übelkeit. Das konnte nur ein schrecklicher Albtraum sein.
»Ich werde dir helfen. Ich werde gleich morgen früh zur Äbtissin gehen. Egal, wie du gesündigt hast, es ist kein Grund, dir so etwas anzutun.«
»Du kennst die Äbtissin nicht. Bete für mich, dass Gott gnädig ist und mich bald zu sich holt.«
»Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, Dorothea, hörst du? Gott ist barmherzig und wird dir helfen.«
»Im Namen Gottes bin ich gefoltert worden«, erwiderte Dorothea. »Wenn Gott mich noch liebt, dann soll er mich sterben lassen. Dieses Kloster ist ein schrecklicher Ort, und die Äbtissin ist grausam. Keiner kann es lebend verlassen. Und selbst nach dem Tod wird man auf dem Klosterfriedhof verscharrt. Niemand erfährt davon, denn hier werden nur stumme Tränen geweint.«
Verzweifelt klammerte sich Maria an die Tür. Sie konnte diese Unglückliche nicht ihrem Schicksal überlassen.
»Ich werde dir helfen«, versprach sie. Sie musste Verbündete suchen. Sie glaubte nicht, dass alle Schwestern grausam waren. »Verlier den Mut und die Hoffnung nicht. Du wirst bald frei sein.«
Es schmerzte Maria, die Klappe wieder schließen zu müssen. Das Grauen stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie den Gang zurückeilte, die Treppe hinauflief und den Schlafsaal erreichte. Auch dort wachte niemand mehr. Sie huschte zu Gundulas Pritsche. Jetzt tat es ihr nicht mehr Leid, die Schwester zu wecken. Sie war furchtbar erregt und könnte es sicher keine Minute im Bett aushalten. Sacht rüttelte sie sie an der Schulter. Schlaftrunken öffnete Gundula die Augen.
»Was ist denn los?«, murmelte sie.
»Ich habe etwas Unglaubliches entdeckt«, flüsterte Maria hastig. »Im Keller wird eine Schwester gefangen gehalten. Sie ist gefoltert worden.«
Gundula blinzelte in das Talglicht, das Maria immer noch in den Händen hielt.
»Was? Im Keller? Wieso schleichst du nachts in den Keller?«
»Weil ich ihr Weinen gehört habe. Sie hat mir sogar ihren Namen gesagt, sie heißt Dorothea.«
Gundula setzte sich auf und rieb sich die Augen.
»Dorothea? Das kann nicht sein. Dorothea ist in ein anderes Kloster gegangen, wo sie das Scriptorium leiten sollte. Sie war sehr belesen, weißt du? Sie konnte sogar Griechisch.«
»Nein, Dorothea ist dort unten. Sie erzählte, sie hätte mit einer anderen Schwester der fleischlichen Sünde gefrönt. Sie ist gefoltert worden, damit sie den zweiten Namen preisgibt. Sag mal, gab es noch eine Schwester, die jetzt nicht mehr da ist?«
»Ja, Adelgunda. Auch sie hat das Kloster verlassen und lebt jetzt in Meißen.« »Hat das die Äbtissin erzählt? Ich bin fast sicher, dass sie auf dem Klosterfriedhof liegt. Da gibt es ein ganz frisches Grab.«
Gundula überlegte einen Augenblick.
»Selbst wenn es stimmen sollte, dann hüte dich, dass ein Wort über deine Lippen kommt. Manchmal ist es besser, taub und stumm zu sein.«
»Aber wir können die Unglückliche doch nicht da unten
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