Die Schwester der Nonne
glänzte und bestand aus feiner Seide oder sogar Gold- und Silberfäden, die Nadeln waren fein und zierlich mit sauberer Spitze, die im Stoff nicht hakten.
Katharina! Wie mochte es ihr gehen? Würde sie des Nachts Schlaf finden? Ihr Leben lang hatten sie ein Bett geteilt, immer die Nähe, die Wärme des anderen gespürt. Im Kloster durfte sie niemanden berühren, umarmen, mit ihm lachen oder scherzen. Es gab nur Gebote, Verbote, Regeln. Wollte Gott das wirklich so? Warum hatte Gott den Menschen dann das Lachen geschenkt?
Die Terz unterbrach die eintönige Tätigkeit nur kurz. Erst nach der Sext war die Morgenarbeit beendet. Die Kleiderverwalterin begutachtete die Arbeiten der Nonnen, und sie war die Einzige, die sprechen durfte. Maria war froh, dass sie an ihrer Arbeit nicht allzu viel auszusetzen hatte. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Nonnen, die für einen Aufgabenbereich verantwortlich waren, sich darin hervortaten, die ihnen Untergebenen zu schikanieren. Nie verteilten sie ein Lob. So manche Nonne wurde übermäßig gerügt. Und offensichtlich erstatteten sie der Äbtissin darüber Bericht.
Es gab auch Arbeiten in den Gärten und Stallungen des Klosters und außerhalb auf den Feldern und im Wald. Die schweren und schmutzigen Arbeiten erledigten Angestellte des Klosters, die selbst keine Nonnen waren. Meist waren es ältere, unverheiratete oder verwitwete Frauen, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen mussten.
Hinter vorgehaltener Hand flüsterte man, dass darunter auch in die Jahre gekommene Huren seien, die nun kümmerlich ihr Leben fristeten. Aber immerhin hatten sie ein Dach über dem Kopf und eine Mahlzeit am Tag.
Doch Maria erschien es wie das höchste Glück, einmal auf einer taufeuchten Wiese wandeln zu können, einmal den Duft frisch gebrochener Erde zu riechen oder den silbrigen Fischen im Fluss zuzuschauen. Sie würde mit Freude Holz aufsammeln, wenn sie nur einmal noch den dunkelgrünen Dom des Waldes sehen und den lieblichen Gesang der Vögel vernehmen könnte. Langsam begriff sie, was sie verloren hatte. Nein, sie hatte es geopfert, einem Leben für Gott. Aber befand sich Gott nicht auch in den Früchten der Felder, im Wasser der Flüsse und in den Kathedralen des Waldes? Sie hätte so gern mit jemandem darüber gesprochen, doch Sprechen war verboten.
Nach der Sext gab es eine Mahlzeit, aber selbstverständlich war auch da Schweigen oberste Pflicht. Lediglich eine Schwester las während der gesamten Mahlzeit aus der Heiligen Schrift vor. Bis zur None wurde Mittagsruhe gehalten, dann wurden die Arbeiten fortgesetzt. Nach der Vesper gab es ein leichtes Abendessen und das Komplet beendete das gesamte Tagwerk. Danach begaben sich alle Schwestern zu Bett.
Mit aller Deutlichkeit wurde Maria klar, dass dieser eintönige Tagesablauf ihr Leben bis zum Tod bestimmen würde. In der Dunkelheit des Dormitoriums presste sie ihr Gesicht in das harte Kissen und weinte lautlos.
Obwohl Maria unter ständiger Müdigkeit litt, konnte sie oft nicht schlafen. In ihren wirren Albträumen, die sie im Halbschlaf ereilten, sah sie ihre Schwester Katharina, die sich nach ihr verzehrte, sah sie den gramgebeugten Vater, um Jahre gealtert, die Amme, die plötzlich ein kleines Kind an ihrer Brust säugte, sogar ihre Mutter, die sie niemals kennen gelernt hatte. Die besaß das Gesicht von Katharina und die Figur von Philomena. Sie sah Tauben vom Marktplatz auffliegen, und als sie genauer hinsah, entdeckte sie eine Leiche in Mönchskutte. Die Tauben verwandelten sich in schwarze Raben, hockten auf dem Dach ihres Vaterhauses und krächzten laut. Maria wollte sie verscheuchen, doch sie stürzten sich auf sie und hackten auf sie ein. Mit den Armen wehrte sie die grässlichen Vögel ab. Doch es waren gar keine Raben, sondern Nonnen mit schwarzen Schleiern, die mit krallenförmigen Fingern auf sie einhackten.
Schweißgebadet erwachte sie aus diesen quälenden Träumen. In ihren Eingeweiden schmerzte es. Wahrscheinlich lag es wieder an dem Dünnbier, das zur Abendmahlzeit gereicht wurde. Maria sollte die Krankenschwester zu Rate ziehen. Das war eine ältere Schwester, deren Aufgabe die Betreuung der Kranken war. Sie war bewandert in der Heilkunde, kannte viele Rezepte, bereitete aus Kräutern wirksame Medizin. Vielleicht konnte sie Marias Beschwerden lindern. Doch dringlicher war für Maria ein Gang auf die Latrine. Die lag unterhalb des Dormitoriums neben dem Badehaus. Eingedenk der ihr erteilten
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