Die Schwester der Nonne
fühlte sich ständig müde. Es war nicht nur die unbequeme Bettstatt, sondern auch der genau geregelte Tagesablauf im Kloster. Und der sah zum Sonnenaufgang bereits das nächste Gebet vor. Während des Sommers war diese Zeit von den Vigilien bis zur Laudes besonders kurz. Die Zeit bis zur Prim, dem dritten Gottesdienst, wurde zum Waschen, Lesen und Singen genutzt.
Es gab ein Badehaus neben dem Wärmeraum, in dem große, hölzerne Zuber standen. Allerdings wurde auf ein Vollbad wenig Wert gelegt, und die Nonnen waren angewiesen, dieses nur vor Weihnachten und vor Pfingsten zu nehmen. Die tägliche Körperpflege beschränkte sich auf eine Waschung mit kaltem Wasser aus einer Schüssel. Samstags hatte das besonders gründlich zu geschehen. Dann wurden vor dem Abendimbiss von den Schwestern die Hände und Füße der Äbtissin gewaschen.
Das Singen war eine willkommene Abwechslung zum Schweigen. Maria besaß eine helle klare Stimme und sang nicht nur zur Lobpreisung Gottes, sondern auch, um alles, was sich in ihr anstaute, herauszulassen wie ein Vögelchen aus dem Käfig. Wenigstens die Klänge konnten davonfliegen, hinaus in die Luft, in den Himmel, in die Freiheit.
Nach der Prim gab es einen leichten Imbiss aus Brot und Bier. Das Essen wurde schweigend eingenommen. Maria fand das Bier eklig, es handelte sich um Dünnbier. Lieber hätte sie Wasser getrunken, doch allein vom Brot schwanden ihre Kräfte zusehends. Sie wagte nicht, die Äbtissin um eine Ausnahme zu bitten, so fügte sie sich in das Unvermeidliche. Das Dünnbier hatte noch eine ganz andere unangenehme Wirkung: Es verursachte ihr Bauchschmerzen und Durchfall.
Nach der Prim begaben sich alle Schwestern in den Kapitelsaal. Die Äbtissin stand wie stets mit unnahbarer Miene vor ihnen. Eine der Schwestern wurde als Vorleserin bestimmt. Sie verkündete das Tagesdatum, las aus dem Märtyrerbuch die Geschichte des Tagesheiligen vor und einen Abschnitt aus der Benediktinerregel. Anschließend verkündete die Äbtissin Neuigkeiten, was selten genug vorkam. Häufiger teilte sie Rügen aus oder bestimmte Strafen für Schwestern, die gegen die Regeln verstoßen hatten.
Maria war erstaunt darüber, wie schnell man gegen irgendwelche Regeln, Gebote und Verbote verstoßen konnte. Vieles, was ihr ganz natürlich vorkam, war im Kloster verpönt oder gar verboten. Die erste Rüge bekam Maria dafür, dass sie ihre Notdurft auf der Latrine allein und nicht im Beisein einer Schwester verrichtet hatte.
Nach der Versammlung im Kapitelsaal begaben sich die Schwestern an ihre Arbeit. Schwestern, die kein spezielles Amt innehatten, mussten alle anfallenden Arbeiten verrichten. Die Einteilung dazu nahm auch die Äbtissin vor. Das Gehorsamkeitsgelübde verlangte, dass die Schwestern diese Arbeiten ohne Klagen auszuführen hatten. Maria hätte liebend gern darum gebeten, im Scriptorium arbeiten zu dürfen. Sie war des Lesens und Schreibens kundig, besaß eine schöne Handschrift und wusste Bücher sehr zu schätzen. Aber es war unmöglich, der Äbtissin diese Bitte vorzutragen. Es würde gegen die Gebote zur Bescheidenheit und Demut verstoßen, ja, den Verdacht der Hoffart und des Dünkels aufkommen lassen.
Maria wurde der Kleiderverwalterin zugeteilt. Diese Schwester war für die gesamte Kleidung, das Bettzeug und das Schuhwerk verantwortlich. Sie ließ die Schafe scheren und nahm auch das Leder für das Schuhwerk in Empfang. Sie beaufsichtigte die Nonnen beim Spinnen von Wolle und Flachs, beim Weben der Stoffe und Stapeln der Tuche. Sie registrierte die Ausgabe von Nadeln, Scheren und Garn an die Schwestern, sie ließ zuschneiden, nähen und waschen. Zudem betreute sie die Novizen und leitete sie in den gesamten anfallenden Arbeiten an.
Maria lernte Flachs zu spinnen, bis ihre Finger bluteten. Mit der Nadel wusste sie gut umzugehen, hatte sie doch gemeinsam mit ihrer Schwester Katharina und Philomena an einem Wandteppich gestickt. Diese künstlerische Arbeit war jedoch kein Vergleich zu der Näharbeit im Kloster. Hier gab es nur grobe Stoffe, einfache Nähte, keine Verzierungen oder sonstigen Tand. Neben der Kleidung musste sie auch Handtücher, Tischtücher und Kissen nähen und Betttücher umsäumen. Die Nadeln waren grob und häufig stumpf. Stach man sich damit in den Finger, gab es unangenehm blutende Wunden.
Mit Wehmut dachte sie an die Stunden, die sie mit Katharina und Philomena vor dem gestickten Teppich zugebracht hatte. Da wurde gelacht und gescherzt, das Garn
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