Die Schwester der Nonne
Thomas zu erkennen. Er sprach mit ihr, und sie antwortete, doch sie erinnerte sich nicht an die Worte.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Es war auch ohne Bedeutung. Sie wusste auch nicht, wie nahe sie dem Tod war, der schon die knochige Hand nach ihr ausstreckte.
Irgendwann wich das Fieber aus ihrem Körper. Sie begann zu frieren und fühlte, wie jemand ein Fell über sie deckte. Es schmeckte bitter auf ihrer Zunge. Jemand hatte ihr übel schmeckende Medizin eingeflößt.
Draußen rauschte gleichförmig der Regen und schläferte sie ein. Sie schlief fest und traumlos und wachte erst am nächsten Morgen auf.
»Da haben wir aber noch einmal Glück gehabt.« Es war Griseldis, die sich über Katharina beugte und sie aufmerksam betrachtete.
Vorsichtig richtete Katharina sich auf und schaute sich um.
»Wo bin ich?«
»Immer noch bei mir. Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Was hätte ich mit einer Toten anfangen sollen? Ein Grab zu schaufeln ist eine üble Anstrengung. Der Boden ist schwer und nass und klebt wie Pech. Außerdem habe ich keine Schaufel.«
»Eine Tote? Wo ist eine Tote?«
»Du bist die Tote«, erwiderte Griseldis mit hartem Lachen. »Beinahe jedenfalls. Wenn ich nicht so gute Kräuter hätte, dann wärst du mausetot.«
Katharina schwindelte, und sie fühlte sich schrecklich kraftlos. Langsam ließ sie sich zurück ins Bett gleiten. Doch gleich fuhr sie wieder auf. Sie lag in Griseldis’ Bett.
»Was ist geschehen? Wie kam ich hierher?«
»Na, wie wohl, du Dummerchen? Auf deinen eigenen Füßen und in ganz ungeeignetem Schuhwerk. Erzählst mir was vom ungeliebten Manne und poussierst mit dem Kuhtürmer herum. Mein Seelenheil ist es ja nicht, und meine Unschuld habe ich schon vor hundert Jahren verloren.« Die Alte kicherte wieder. »Ja, ja, auch ich war einmal jung und lebte nicht immer zwischen den Sümpfen und Wassern.«
Sie hantierte am Kamin und legte nasses Holz auf. Es qualmte und rußte, und sie hustete laut.
»Alles ist nass durch diesen verteufelten Regen. Kein Wunder, wenn man krank wird. Ich koche dir erst einmal was zu essen, damit du wieder zu Kräften kommst. Eine fette Brühe und einen starken Tee, dazu einen Haferwecken und Milch von der Ziege.«
Aus der Ecke meckerte die Ziege. Sie zog ein hochmütiges Gesicht und betrachtete Katharina aus ihren gelben Augen.
Griseldis rührte im Kessel die Brühe um, die sie aus Knochen und Fleischresten bereitet hatte und schüttete dann etwas Mehl auf den Tisch. Mit Wasser und unter Zugabe klein gehackter Kräuter knetete sie einen Teig, stach kleine Stückchen ab und rollte sie zu winzigen Klößchen. Zusammen mit frischen Pilzstückchen gab sie sie in die Brühe. Während sie das Essen zubereitete, begann sie zu erzählen.
»Weißt du, im Wald ist manches anders. Da leben Wesen, die den Menschen nicht immer wohl gesinnt sind. Und manchmal strafen sie auch. Ich kenne eine Geschichte von einem jungen Mann, dem Schlimmes widerfuhr. Zu einer Zeit, als der Sommer zu Ende ging und der Herbst noch nicht begonnen hatte, als die Grenzen zwischen den warmen und kalten Tagen verschwammen und das Land und das Laub und all die Bäume schon den Tod in sich trugen, ohne dass man dessen gewahr wurde, da ging ein junger Bursche am Ufer des Elsterflusses spazieren. Er war vergnügt und pfiff ein Liedchen vor sich hin. Der junge Bursche schien verliebt, und die Angebetete war eine junge Magd auf dem Hofe seines Vaters. Auch sie fand Gefallen an dem jungen Manne und gab ihm zu verstehen, dass sie ihn begehrte. Das beglückte ihn, und deshalb schlug er mit der Gerte in seiner Hand gar übermütig aufs Gras.
Da sprang aus dem Fluss ein Fisch mit silbernem Leib und schien gleichsam in der Luft zu schweben. Wassertropfen wie Perlen verteilten sich um ihn, bevor er wieder in die Fluten des Flusses eintauchte. Der Bursche sah dieses Schauspiel sehr wohl und trat näher, um zu sehen, was das für ein Fischlein wäre. Da rauschte das Wasser plötzlich stärker und anstelle des Fischleins war eine weißblau schimmernde Gestalt zu sehen. Sie tauchte auf und lächelte dem Burschen zu.
Verwundert blieb er stehen, dann setzte er sich ins Gras und lauschte ihrem Gesang. Es war eben die Melodie, die er gerade gepfiffen hatte und die das Nixenwesen aufnahm und fortführte. Es klang so lieblich und wundersam, dass er ganz davon gefangen genommen wurde.
Die Nixe winkte ihm mit der Hand einladend, und er folgte ihr wie von Zauberhand geführt.
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