Die Schwester der Nonne
der Enten, die überall brüten, im Frühjahr. Im Sommer und Herbst gibt es Wurzeln, Pilze und Fische. Und im Winter findet sich schon einmal ein Stück Wildbret.«
Sie kicherte.
»Außerdem schlachte ich dann das Zicklein, das mir meine Ziege Nimmersatt jährlich zur Welt bringt.«
»Und wo ist das Zicklein?«, wollte Katharina wissen.
Die Alte zuckte mit den Schultern.
»In diesem Jahr gab es kein Zicklein. Der Bauer verlangte zu viel Geld für seinen alten Geißbock. Da habe ich ihm gesagt, dass ich seinem Bock das Vergnügen nicht gönne. Es geschah ein Wunder, dass meine Ziege trotzdem ein pralles Euter bekam und mir ihre Milch schenkte. Das machen die vielen Kräuter, die ich ihr füttere.«
Sie blickte auf den Korb mit Pilzen.
»Ich werde wohl wieder Pilze im Dorf gegen Mehl eintauschen.« Sie seufzte. »Das wird von Jahr zu Jahr teurer. Die Müller sind die größten Halunken und bereichern sich an der Mahlmetze. Ja, ja, die Müller und Bäcker stehlen nicht, man bringt’s ihnen. Deshalb kommen die Müller auch nicht in den Himmel.«
Sie kicherte wieder.
»Es ist kein leichtes Leben, aber mir gefällt es so. Im Wald bin ich frei, und kaum jemand wagt sich hierher.«
Sie änderte abrupt das Thema.
»Thomas ist ein guter Junge. Es freut mich, dass er so eine nette Braut gefunden hat.«
Das hatte Griseldis wohl völlig falsch verstanden. Doch Katharina schwieg. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach. Bis zum Winter musste sie eine andere Lösung gefunden haben. Sie konnte der alten Griseldis nicht zur Last fallen. Doch, wo sollte sie hin?
Während Griseldis die Pilze putzte, plapperte sie unaufhörlich. Offensichtlich war sie froh, jemanden zum Schwatzen zu haben.
»Diese Baumpilze sind nicht besonders schmackhaft, und wenn sie älter werden, dann kauen sie sich wie altes Leder. Am besten sind natürlich die Georgenschwämmchen, aber die gibt es ja nur um den Sankt-Georgs-Tag. In diesem Jahr fand ich viele, und ich habe sie verkauft. Morcheln hat es auch allenthalben gegeben, dazu herzhafte Kräuter, glaub mir, dafür würde der Kurfürst das zarteste Fasanenfleisch stehen lassen. Ich kenne die besten Pilzstellen und halte sie natürlich geheim. Man muss Pilze um Mitternacht bei Vollmond suchen, dann entfalten sie ihren Geschmack am besten. Bei Kräutern ist es übrigens umgekehrt. Die erntet man am besten um die Mittagszeit und kurz vor der Blüte, da sind sie am würzigsten. Kennst du dich mit Kräutern aus?«
Katharina hatte dem unablässigen Geplapper der Alten gar nicht zugehört. Sie fühlte einen seltsamen Druck im Kopf und ihr Hals schmerzte. Draußen krächzte eine Rabenkrähe und ließ sich auf dem untersten Ast der großen Eiche nieder. Mit geneigtem Kopf äugte sie zur offenen Tür hinein. Griseldis rupfte die Vögel und zog ihnen die Gedärme heraus.
»Die Herzen verwende ich, aber die restlichen Innereien werden nur im Winter gekocht«, erklärte sie. »Die Vögel fressen dann nur Sämereien, und da schmecken die Innereien nicht so streng wie im Sommer, wo sie auch allerhand Gewürm vertilgen.«
Sie warf die blutigen Innereien zur Tür hinaus. Sofort stürzte sich die Krähe mit lautem Gekrächze darauf und verschlang sie gierig. Katharina schwindelte. Als sie sich zu Griseldis wieder umwandte, sah sie die Alte doppelt. Was war das für ein Zauber? Plötzlich begriff sie: Griseldis war eine Hexe.
Katharina wollte aufspringen und davonlaufen, doch sie schwankte nur. Ihre starren Augen blieben auf die doppelte Griseldis geheftet. Kein Zweifel, sie war eine Hexe, sie konnte sich verdoppeln. Weiß der Teufel, wie sie das machte. Und nun sprachen die beiden Köpfe auch noch zu ihr. Aber sie verstand sie nicht. Quälende Hitze breitete sich in ihr aus. Griseldis fasste nach ihr.
»Lieber Gott, du bist ja ganz heiß! Das Fieber hat dich ergriffen.«
Katharina erhob sich von der Bank und schwankte. Griseldis führte sie zum Bett.
»Ich brühe dir einen Lindenblütentee. Leg dich hin. Wenn das Fieber nicht weichen will, werde ich dir kalte Wickel bereiten.«
Ihre Worte rauschten an Katharinas Ohren vorbei. Sie ließ sich schwer auf das Bett fallen. Dann versank alles um sie herum.
Es waren Tage im Fieberwahn, Nächte in Dunkelheit, wirre Träume voller gespenstischer Wesen: Bäume mit menschlichen Gesichtern, schweigende Nonnen, die sich plötzlich in die Lüfte erhoben und zu Fledermäusen wurden, eine dunkle Höhle, in der tote Vögel von der Decke hingen. Einmal glaubte sie,
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