Die Schwester der Nonne
Ihr langes blaues Haar bewegte sich wie die Wellen des Flusses, und ihr silberner Fischleib bog sich anmutig in der Weise ihres Liedes.
Immer hellere Töne brachte sie hervor und endete in einem grellen Lachen.
Doch da war es bereits zu spät. Der Bursche nahm ihre Hand, die ganz kalt war, und konnte sie nicht wieder loslassen. Die Nixe hielt ihn fest und tauchte hinab in die gurgelnden Fluten. Sie zog den verliebten Burschen mit sich, bis sich die Wellen über ihm schlossen. Niemand hat je wieder etwas von ihm gesehen oder gehört.«
»Das ist aber eine traurige Geschichte«, stellte Katharina fest. »Warum hat die Nixe den Burschen bestraft? Weil er verliebt war?«
Griseldis reichte Katharina eine hölzerne Schale mit heißer Brühe und gekochtem Fleisch. Kleine Mehlklößchen schwammen in der Suppe, und sie duftete nach frischen Pilzen. Katharinas Magen zog sich krampfhaft zusammen. Wer weiß, wie lange sie schon nichts mehr zu sich genommen hatte.
Vorsichtig schlürfte sie vom Rand der Schale. Die Wärme im Magen tat ihr gut. Sorgsam löffelte sie die Mehlklößchen und die Fleischstücke heraus. Sie leerte die Schüssel und fühlte sich danach erschöpft, aber zufrieden.
»Ja, ja, die seltsamen Geschichten aus dem Wald«, plapperte Griseldis weiter. »Ich habe sie alle erlebt und weiß, dass sie wahr sind.«
Katharina drehte sich zur Seite.
»Ist das wirklich wahr?«
»Natürlich. Ich habe auch den schwarzen Bruno gesehen. Er geht manchmal durch den Wald wie ein Geist. Seit er der Flasche entfleuchte, stiftet er Unheil im Wald.«
Katharina richtete sich beunruhigt wieder auf.
»Der schwarze Bruno ist in der Nähe?«
»Manchmal, manchmal …« Griseldis streute getrockneten Tee in eine schwarze Eisenkanne. »Linde scheucht das Fieber weg, der Hollerbusch am gleichen Fleck, Kamille macht den Atem heil, das Lungenkraut tut’s alleweil.«
Langsam zog sich Katharina die Zudecke bis zur Nase. War das ein Zauberspruch? Ihr gruselte. Und der Gedanke an den schwarzen Bruno jagte ihr Furcht ein. Sie warf einen ängstlichen Blick zur Tür. War da nicht ein Geräusch?
Griseldis summte leise ein Lied, das Katharina nicht kannte und von dem sie vermutete, dass es zu ihrem Hexenzauber gehörte. Ihre Augen weiteten sich in banger Erwartung, hin und her gerissen zwischen Faszination und Schrecken. Ein aromatischer Kräuterduft zog durch den Raum, doch Katharina befürchtete Unheil. Was, wenn es giftige Kräuter waren? Wenn Griseldis sie nun umbringen würde?
Katharina glaubte Schritte auf der hölzernen Brücke draußen zu vernehmen. Sie rutschte tiefer ins Bett hinein. Wohin sollte sie im Ernstfall flüchten?
Dunkle Wolken schoben sich vor den Himmel. In der ohnehin düsteren Hütte wurde es noch unheimlicher. Wind kam auf und heulte im Kamin. Funken stoben aus dem Feuerloch, Flammen loderten hoch und warfen unruhige Schatten an die Wände. Da war doch etwas! Da, ein dunkler Schatten draußen vor dem Fenster!
Im nächsten Moment flog die Tür auf. Mit einem kalten Windstoß und wild wirbelnden Blättern stolperte eine schwarze Gestalt herein. Katharinas Schrei gellte gegen den heulenden Wind an, und sie riss sich die Decke über den Kopf. Das konnte nur der schwarze Bruno sein oder der Teufel persönlich! Ihr Herz raste, und sie glaubte, im nächsten Moment sterben zu müssen. Ihr letztes Stündlein hatte geschlagen. Sie konnte nicht einmal mehr die Hände zum Gebet falten, denn damit hielt sie sich die Decke über dem Kopf. Aber sie konnte ein Stoßgebet verrichten.
»Heiliger Herrgott im Himmel, errette mich aus dieser schrecklichen Kalamität und hilf mir, den Teufel zu bekämpfen. Ich bin doch noch so jung und will nicht sterben. Lass den schwarzen Bruno im Sumpf versinken und ihn nie wieder emporsteigen.«
Gott schien ihre Gebete nicht zu erhören. Vielleicht, weil sie die Decke über den Kopf hielt, oder der Wind zu laut heulte. Eine Hand krallte sich in die Decke und zerrte sie mit einem Ruck weg.
»Neiiiiin!« Katharina schlug sich die Hände vors Gesicht. Ihre Handgelenke wurden umfasst und beiseite gezogen. Sie kniff die Augen zu und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein!«
»He, Katharina, was ist denn los?«
Es war die Stimme, die sie stutzen ließ. Sie hielt still und öffnete vorsichtig die Augen. Blinzelnd blickte sie auf.
»Thomas?«
»Wen hattest du denn erwartet?« Thomas warf seinen Umhang ab. »So ein schreckliches Wetter. Aber ich hatte keine Ruhe, weil du doch so krank
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