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Die Schwester der Nonne

Titel: Die Schwester der Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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Gemeinsam mit den Konversen beging sie die Sext unter den Apfelbäumen, dann zog sie sich zur Ruhe in die Rosenlaube am Fluss zurück. Mit bangem Blick starrte sie auf das Wasser. Im Traum schien es ihr eine Botschaft zu übermitteln. Aber sie verstand diese Botschaft nicht.
    Als das Boot auf der Mitte des Flusses erschien, klopfte ihr Herz bis zum Hals. Sie wusste nicht, ob sie es richtig machte, ihn überhaupt zu erwarten. Aber ob sie wollte oder nicht, ihre Augen konnten nicht von ihm lassen. Langsam näherte sich das Boot. Der junge Fischer stand im Heck, die Ruderstange in der Hand. Seine Augen hielt er auf Maria geheftet. Sein Gesicht war ernst, fragend, hoffnungsvoll. Auch Maria stand im Bogen der Rosenlaube, aufrecht, stolz, fast hoheitsvoll. Der Wind spielte in den Falten ihres Gewandes und hauchte ihnen Leben ein.
    Wie an einem unsichtbaren Band zog es die beiden Menschen zueinander, die Blicke ineinander verwoben. Als das Boot Maria am nächsten war, griff sie in die Rosenhecke und brach eine der Blüten. Mit einem kühnen Schwung warf sie ihm die Rose zu. Sie fiel zu seinen Füßen ins Boot. Erfreut bückte er sich danach, hob sie auf und hielt sie an seine Lippen. Mit starrem Blick folgte Maria seinen Bewegungen. Als ein Lächeln sein Gesicht überflog, lächelte auch sie. Ein warmes Gefühl durchströmte sie, und sie fühlte sich unendlich glücklich. Sie hob die Hand zu einem kleinen Gruß und blieb stehen, bis das Boot ihren Blicken entschwand.
    So stand sie noch, als das Boot längst ihren Blicken entschwunden war. Sie lauschte dem Gefühl in ihrem Inneren nach. Sie hatte sich nicht geirrt, sie war glücklich. Diese Erkenntnis erstaunte und erschreckte sie zugleich, doch sie gab ihr auch Mut. Sie würde ihn morgen wieder erwarten.
    Es verging kein Tag, an dem der junge Fischersmann nicht mit seinem Boot am Klostergarten vorbeifuhr, und es verging kein Tag, an dem Maria nicht in der Rosenlaube saß und ihn erwartete. Sie lebte nur noch für diese kurzen Augenblicke, für diese Momente des Glücks. Tag für Tag spürte sie es deutlicher, wie dieses Glücksgefühl sie erfasste, wenn der junge Mann in seinem Boot vorbeifuhr. Die wenigen Augenblicke machten ihr das Leben im Kloster erträglicher.
    Nach dem Erwachen fieberte sie dem kurzen Moment des Zusammentreffens entgegen, und wenn das Boot entschwunden war, lebte sie vom Nachhall des Gefühls. Sie ging regelmäßig zur Beichte, und die Äbtissin, die sie argwöhnisch beobachtete, konnte nichts gegen Maria vorbringen.
    Jedoch beichtete Maria niemals ihre wundersamen Treffen mit dem Fischer, sondern sprach darüber nur direkt mit Gott. Sie war sich sicher, dass Gott sie erhörte. Gott verlieh ihr für eine kurze Zeit unsichtbare Flügel, ließ sie schweben, in das Himmelsblau aufsteigen. Sie fühlte sich wie ein Vogel, der dem Käfig entfloh. Dieses Gefühl der grenzenlosen Freiheit berauschte sie. Auch wenn dieser Augenblick endlich war, wenn er verrann und mit dem Wasser des Flusses fortzog, so war er ihr doch vergönnt, jeden Tag.
    Und dann, eines Tages, blieb das Boot nicht in der Flussmitte, sondern der junge Fischer steuerte es ans Ufer, packte mit den Händen in das Gras und hielt sich fest. Maria stockte der Atem. Es gab keinen Anlegesteg, nicht mal einen Pflock, wo er hätte sein Boot festbinden können. Hilflos stand sie da, während er auf dem Boden des Kahns kniete, über den Rand gebeugt und sich mit vor Anstrengung hochrotem Kopf ins Gras krallte.
    In einem plötzlichen Entschluss raffte Maria ihren Kittel hoch, eilte zum Ufer herab und ins Wasser hinein. Sie griff nach dem Tau, das am vorderen Steven befestigt war und zog es an Land. Nun konnte der Fischer loslassen. Mit einer behänden Bewegung sprang er an Land und nahm Maria das Seil ab.
    »Danke«, sagte er nur und schenkte ihr ein Lächeln.
    In einer ersten Regung erwiderte sie das Lächeln, doch dann senkte sie schnell den Kopf. Was tat sie da eigentlich? Die Nähe des Mannes erregte sie. Sie glaubte sogar, seinen Duft zu spüren, nach Schweiß, Fisch, Wasser, irgendwie animalisch. Ihr Herz klopfte heftig, und was da rauschte, war nicht der Fluss, sondern das Blut in ihren Ohren.
    »Ich hoffe, Ihr vergebt mir, edle Dame, dass ich das Ungeheuerliche wage und Euch in der Klausur belästige. Gott wird mir vergeben, denn meine Absichten sind Euch wohlgesinnt. Ich sah Euch jeden Tag, wenn ich vorüberfuhr, und Eure Traurigkeit rührte mein Herz. Die Sonne scheint für alle Wesen auf

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