Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schwester der Nonne

Titel: Die Schwester der Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
Vom Netzwerk:
Gottes Erden. Warum dringen die Strahlen nicht hinter Euren Schleier? Warum erhellt der Tag nicht Euer Gemüt? Was ist es, das Euch diese Traurigkeit bringt? Kann Euch jemand helfen, sie zu überwinden?«
    Maria hielt den Kopf gesenkt und schwieg.
    »Ich habe Euch eine Blume gesandt, und Ihr habt sie angenommen. Dann schicktet Ihr mir eine Rose, und ich habe sie angenommen. Ich glaubte, es sei ein Zeichen dafür, dass Ihr mein Hilfsangebot annehmen würdet. So nahm ich meinen Mut zusammen, zu Euch zu kommen, gleichwohl wissend, dass das eigentlich nicht sein darf. Aber es darf auch nicht sein, dass ein Gotteskind so traurig ist, wo doch ringsum alles Lebende jubelt und tiriliert.« Als Maria immer noch schwieg, legte er seine Hand unter ihr Kinn und drückte sacht ihren Kopf hoch. Ihre Augen schauten ihn voller Traurigkeit an, doch ihr Mund blieb verschlossen.
    Betroffen blickte er ihr ins Gesicht.
    »Ist es ein Gelübde, dass dich zum Schweigen verpflichtet?«
    Sie nickte, während zwei Tränen ihre Wangen herabrannen. Eine steile Zornesfalte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.
    »Was ist das für ein grausames Gelübde? Gott hat den Menschen die Sprache gegeben, um sie zu gebrauchen. Das liebliche Wort, geformt im Gedicht, der Klang wohltönend im Lied, alles das lobet den Herrn. Was erdreistet sich der Mensch, eine Gabe Gottes verkümmern zu lassen, indem er wegen eines Gelübdes verstummt?«
    Verwunderung trat in Marias Blick. Noch nie hatte sie darüber nachgedacht. Alles, was von Gott gewollt war, erschien ihr so unveränderlich, feststehend, dass es ihr unvorstellbar schien, etwas daran zu verändern. Andererseits drängte es sie geradezu, das Schweigegelübde zu brechen. Sie wollte sprechen, ihr Herz erleichtern, plaudern, wie es die Konversen bei der Arbeit taten. Sie wollte diesem Mann von sich erzählen, von ihrer Familie, von ihrer Schwester Katharina und der grausamen Trennung. Sie begriff selbst nicht, warum es sie drängte, gerade diesem wildfremden Mann ihr Herz auszuschütten.
    »Ich heiße Maria«, flüsterte sie kaum hörbar und errötete wieder.
    »Mein Name ist Hans, der Fischer.« Er wies auf seinen Kahn. Dort standen zwei Körbe voll mit Fischen und Krebsen. »Ich verkaufe meinen Fang vor dem Stadttor. Die halbe Nacht bin ich unterwegs, weil man im Morgengrauen die besten Fische fangen kann.«
    Er lächelte.
    »Ich hatte schon befürchtet, du wolltest mich nicht wieder­sehen.«
    Sie schüttelte sacht den Kopf.
    »Ich darf dich nicht wiedersehen, Fischer Hans. Ich bin Gott versprochen.«
    »Dann muss ich Gott bitten, dich wieder freizugeben.«
    Sie erschrak und wich einen Schritt zurück.
    »Das ist unmöglich! Es ist Sünde, dass wir uns treffen.«
    »Was soll Sünde daran sein, wenn du meine Fische betrachtest«, entgegnete er und führte sie dicht ans Ufer. Er wies auf die beiden Körbe auf dem Boden seines Kahns.
    »Fischer Hans, erzähl mir, wie es in der Welt draußen aussieht«, bat sie.
    »Die Welt draußen ist bunt und lebendig«, begann er und ließ seinen Blick über den Fluss schweifen. »Auf den Feldern wächst das Korn, das Vieh bevölkert die Pfingstweiden, und die Imker verkaufen ihren Honig an den Stadttoren und auf dem Markt. Der Rat hat beschlossen, dass die Huren eine besondere Kleidung tragen müssen …«
    Er stockte.
    »Oh, entschuldige, das ist natürlich kein Thema für deine Ohren.«
    Sie lächelte.
    »Mein Vater ist auch Ratsherr, und ich kenne derartige Beschlüsse. Er hatte davon gesprochen, wenn er aus der Ratsversammlung kam. Dabei ist stets viel Bier geflossen, und er hatte eine lockere Zunge. Wenn so viele verschiedene Menschen auf engem Raum leben, dann müssen eben viele Dinge geregelt werden.«
    Sein Gesicht erhellte sich.
    »Du bist ein Mensch, der viel vom Leben weiß und der sich, so scheint es zumindest, nach diesem Leben sehnt. Warum bist du dann im Kloster?«
    »Bereits bei meiner Geburt hat meine Mutter mich dem Kloster versprochen.«
    »Wie kann eine Mutter so etwas tun?«, empörte sich Hans. »Bist du ihr deshalb nicht gram?«
    Maria senkte den Kopf.
    »Meine Mutter starb gleich nach meiner Geburt. Unserer Geburt«, ergänzte sie. »Ich habe eine Zwillingsschwester. Aber weder von meiner Schwester noch von meinem Vater habe ich etwas gehört, seit ich bei den Marienschwestern bin. Besuche sind nicht gestattet, und außer zu Wallfahrten zum Marienborn im Winter darf ich das Kloster nicht verlassen. Ich bin schon dankbar dafür, dass ich im

Weitere Kostenlose Bücher