Die Schwester der Nonne
Böhmen war die Gattin des Herzogs Albrecht, der sie im zarten Alter von zehn Jahren ehelichte. Sie hatte in den letzten Jahren einige schlimme Schicksalsschläge hinnehmen müssen.
Während der Herzog fast ununterbrochen außerhalb des Landes weilte und für den Kaiser auf fremden Schlachtfeldern kämpfte, verlor die traurige Prinzessin die letzten vier Kinder, die sie gebar, sogleich wieder an den Tod. Die einen sagten, weil die Prinzessin mit fast fünfzig Jahren zum Gebären schon viel zu alt sei, die anderen meinten, es wäre die Strafe dafür, dass sich Herzog Albrecht zu wenig um sein eigenes Reich kümmere.
Immerhin aber lebten noch vier seiner Kinder, darunter drei Söhne und er hatte, eingedenk der unseligen Teilung Sachsens vor fünfzehn Jahren, die »Väterliche Ordnung« erlassen, die zur Verhinderung einer weiteren Teilung des Landes ausschließlich dem ältesten Sohn das alleinige Erbrecht zugestand.
Wenn Maria jemand helfen konnte, dann die Landesmutter in ihrer unendlichen Güte. Sie würde sie verstehen und ein bittendes Wort beim Bischof einlegen.
»Gleich nach der Ernte werde ich mich auf den Weg nach Dresden begeben«, versprach Hans. »Darf ich Maria in dieser Zeit in Eurer Obhut lassen?«
»Natürlich«, gab Johanna gutmütig zurück. »Sie ist ja ein liebes Mädel.«
Gudrun kam atemlos gelaufen. Sie ließ sich neben Johanna ins Raingras fallen und rang nach Luft.
»Ich war eben im Dorf, und die Frauen am Brunnen erzählen, dass bald eine Abordnung des Propstes aus Leipzig kommen wird, um sich den Schaden am Kirchturm zu besehen. Die Gemeinde hat den Antrag gestellt, einen Teil des Geldes für den Wiederaufbau aus dem Klosterschatz zu beanspruchen. Der Propst meinte, zunächst müssen alle Seelen des Dorfes gezählt werden, um zu ergründen, wer davon einen Spendengroschen abgeben könne. Erst dann werde das Kloster seinen Teil dazugeben. Das sei so mit dem Bischof in Meißen abgestimmt.«
»Wovon sollen wir denn einen Spendengroschen abknapsen, wo uns fast die gesamte Ernte verhagelt wurde?«, ereiferte sich Johanna. »Schließlich besteht der Grundherr auch auf seinem Anteil. Diese Obrigkeit lässt sich doch immer wieder etwas Neues einfallen, um die kleinen Leute zu schröpfen.«
»Halt dein Schandmaul, Alte«, herrschte Adam sie an. »Über die Obrigkeit redet man nicht schlecht, sonst hat sie einen gleich am Galgen. Den Strick um den Hals hat man schneller als ein Stück Brot im Magen.«
»Versteht ihr denn nicht?«, erregte sich Gudrun. »Wenn alle Gemeindemitglieder unseres Kirchspiels gezählt werden, dann fällt doch auf, dass zwei Seelen zu viel bei uns sind. Maria und Hans sind in Gefahr. Es gibt keine Kirche, in der sie getraut wurden. Das werden die hohen Herren ganz schnell herausbekommen. Wenn es um ihr Geld geht, dann prüfen sie sehr genau.«
Adam kratzte sich nachdenklich unter seiner Filzkappe.
»Das Weib hat Recht. Das könnte Ärger geben. Und Ärger mit der Obrigkeit kann ich nicht gebrauchen.«
»Ihr werdet keinen Ärger bekommen. Ich werde nach Dresden reisen und Maria mitnehmen.« Hans erhob sich.
»Und du glaubst, Maria kommt dort lebend an?«, zweifelte Gudrun.
»Was soll ich sonst machen? Auf dem Hof bleiben kann sie auch nicht.«
Johanna warf Adam einen kurzen Blick zu.
»Pferde besitzt niemand im Dorf, nur der Grundherr. Aber ich könnte Nachbar Paul fragen, ob er dir eines seiner Maultiere leiht. Wir geben ihm zwei Ziegen dafür.«
Hans’ Augen weiteten sich vor Erstaunen.
»Das würdest du für uns tun?«
Johanna hob die Schultern.
»Nachdem wir kaum Heu haben, kriegen wir ohnehin nicht alle Ziegen über den Winter.«
Hans umarmte seine Tante, doch die schob ihn ruppig zurück.
»Ich tue es nicht aus Sentimentalität«, brummelte sie. »Ich denke nur an meine Familie.«
Aber der Blick ihrer Augen strafte sie Lügen.
Wenige Tage später verabschiedeten sich Hans und Maria von der Familie des Oheims. Versorgt mit Proviant und vielen guten Wünschen kletterten sie auf den winzigen, einachsigen Wagen, der von Bauer Pauls Maultier gezogen wurde.
So konnten sie in gut fünf Tagen die Residenzstadt des Herzogs erreichen.
Es gab Tränen auf beiden Seiten. Tante Johanna wischte sich einige Male verstohlen über die breiten Wangen.
»Gott sei mit euch«, wünschten sie und winkten ihnen lange nach.
Der Herbst hielt untrüglich Einzug. Über die Stoppelfelder zogen Schafherden und suchten sich genügsam ihr Futter, von den Tennen erklang das
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