Die Schwester der Nonne
rhythmische Klopfen der Dreschflegel, und unzählige Ochsenkarren und Maultierwagen, hoch beladen mit Kornsäcken, strebten den Mühlen zu und verstopften die Straßen.
Ihr Weg führte Hans und Maria immer nach Osten über die Töpferstädte Kohren und Rochlitz, über Waldheim und Rosswein, über Nossen und Kesselsdorf. Dort kreuzten sie die Routen der Erzfrachten aus Freiberg, die zum Verschiffen bis zur Elbe gebracht wurden. Da es das Wetter zuließ, nächtigten sie unter freiem Himmel oder in ihrem kleinen Wagen, gönnten dem braven Maultier seine Ruhe und hungerten dank Tante Johannas reichlichem Proviantkorb nicht.
Maria betrachtete staunend die Welt. Wieder zu Kräften gekommen, hatte sie Sinn dafür, alles in sich aufzunehmen, was ihre Augen erblickten, was ihre Ohren hörten und was ihre Nase erschnupperte. Die Welt war so groß. Jetzt erst konnte sie ermessen, was ihr Vater mit seinen ausgedehnten Handelsreisen geleistet hatte.
Sie selbst war nie weit vor die Tore ihrer Heimatstadt gekommen. Ein Besuch bei ihrem Freund Thomas im Kuhturm an der Pfingstweide war schon ein kleines Abenteuer. Ihr Herz schmerzte, wenn sie an die geliebten Freunde daheim dachte. Wie würde es ihnen inzwischen ergangen sein? Was machten der Vater und Philomena? Ob er sich noch bei Gesundheit befand? Ob Thomas inzwischen verheiratet war? Er liebte Katharina, das war Maria nicht entgangen.
Katharina! Es war der stärkste Schmerz, wenn sie sich an ihre Schwester erinnerte. Sie hatte Katharina Unrecht getan, als sie ihre heimliche Liebe zu dem Studenten Klaus verurteilte. Nun hatte sie die Liebe am eigenen Körper erfahren und konnte Katharina nachfühlen, wie schwer es war zu verzichten. Wie hatten die beiden Liebenden leiden müssen, zumal Klaus durch die Torturen im Verlies. Auch das konnte Maria nun aus eigenem Erfahren nachempfinden. Sie empfand große Reue und hätte so gern alles wieder gutgemacht, Katharina umarmt …
»Was hast du? Warum weinst du?«, fragte Hans erschrocken.
Maria drehte das Gesicht verlegen beiseite.
»Entschuldige bitte, es überkamen mich eben die Erinnerungen an daheim. Was mag aus meinen Lieben geworden sein?«
»Wenn du frei bist, wirst du all deine Lieben wiedersehen. Ich werde bei deinem Vater um deine Hand anhalten, und wir werden heiraten. Es wird alles gut werden.«
Er legte tröstend den Arm um sie, und Maria lehnte den Kopf an seine Schulter.
»So Gott will. Ich gebe die Hoffnung nicht auf.«
Von einem Händler kauften sie frische Weintrauben, die an den Elbhängen gediehen und aus denen ein vorzüglicher Wein gemacht wurde. Die süßen Früchte gaben ihnen wieder Kraft, das letzte Stück des Weges zu wagen. Die wundervolle Residenzstadt Dresden lag ihnen zu Füßen.
Es mochte die schöne Lage am Ufer des Elbeflusses sein, die Herzog Albrecht bewogen hatte, sein Domizil in Dresden aufzuschlagen. Vom rechtselbischen Hang blickte der Reisende auf die wundervolle Stadt zu seinen Füßen. Normalerweise erreichten die Reisenden Dresden von Meißen aus oder vom Böhmischen über die von dichtem Urwald bewachsenen Berge des Silbergebirges. Da Hans und Maria einen ungewöhnlichen Weg gewählt hatten, wurden sie mit einem ungewöhnlichen Ausblick belohnt.
Sie hielten das Maultier an und kletterten aus dem Wagen. Diesen Anblick wollten sie sich bis ans Ende ihrer Tage einprägen. Silbern schimmernd wand sich das Band der Elbe durch das Tal. Seit Herzog Albrecht in Dresden residierte, hatte sich die Stadt prächtig entwickelt. Der Erzbergbau, die Schifffahrt auf dem Fluss, der Handel mit dem böhmischen Nachbarn und die guten familiären Beziehungen durch die Ehelichung einer böhmischen Prinzessin, die waldreiche Niederlausitz und Schlesien sowie das Hochstift Meißen brachten Reichtum und Wohlstand, wovon die Stadt profitierte.
»Jetzt haben wir es geschafft. Wir müssen nur einen Audienztermin bei der Herzogin beantragen. Man sagt, sie sei eine gütige Herrscherin und habe ein offenes Ohr für die Nöte ihrer Untertanen. Ich bin sicher, sie wird uns diese Audienz gewähren.«
Hans hauchte Maria einen Kuss auf die Wange. Sein Lächeln machte ihr Mut. Sie bestiegen wieder ihren kleinen Wagen, und Hans nahm voller Zuversicht die Zügel des Maultieres auf.
Im Umland von Dresden gab es viele kleine Dörfer, die wie Schwalbennester an der Stadt klebten. Auch dort herrschte die übliche Betriebsamkeit. Es war Erntezeit, und es gab viel zu tun.
Hans bahnte sich mit seinem Maultierkarren den
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