Die Schwester der Nonne
»Das ist viel zu gefährlich.«
Maria schaute ihn traurig an.
»Wenn es wirklich Katharina ist, die an meiner statt sterben soll, denn werde ich meines Lebens nicht mehr froh. Ich werde mich dem Propst stellen und den Irrtum aufklären.«
»Dann wirst du sterben«, rief Hans erregt.
»Ja«, antwortete sie seltsam gefasst. »Wenn es Gottes Wille ist.«
»Das lasse ich nicht zu. Du darfst dich nicht opfern. Maria, ich liebe dich! Soll alles umsonst gewesen sein?«
»Ich liebe dich auch, Hans. Aber Katharina ist meine Schwester. Wenn sie an meiner statt stirbt, wirft das einen sehr dunklen Schatten auf unsere Liebe. Sie würde in diesem Schatten nicht gedeihen. Ich darf sie nicht ihrem Schicksal überlassen.«
Hans packte sie an den Armen. »Das Schicksal deiner Schwester überlass bitte mir. Sag mir lieber, wo du inzwischen bleiben kannst, wo du halbwegs in Sicherheit bist.« Er blickte den Magister an, doch der hob abwehrend die Hände.
»Ich muss Klaus suchen. Ich befürchte, wenn er erfährt, dass Katharina sterben soll, tut er sich etwas an. Der Junge hat doch noch eine große Zukunft vor sich«, sagte Siebenpfeiffer.
»Mein Vater?«, fragte Maria zaghaft.
Siebenpfeiffer schüttelte den Kopf. »Der ist schon seit Monaten verschwunden. Wahrscheinlich befindet er sich auf einer Handelsreise.«
»In seinem Alter?«
»Mehr weiß ich leider auch nicht. Die Geschäfte führt der Prokurist, und Philomena ist auch verschwunden.«
Maria ließ den Kopf sinken.
»Dann hilft alles nichts. Ich kenne niemanden, der mich verstecken würde. Was soll es auch nützen?«
»Maria, bitte denk nach! Ich werde nicht untätig bleiben, das verspreche ich dir.«
Plötzlich trat ein Leuchten in ihre Augen.
»Ich kenne einen, der immer treu zu uns Schwestern gehalten hat. Der Thomas vom Kuhturm!«
»Na also, wir werden sofort zu ihm fahren, und Ihr, Herr Magister, kommt bitte mit Klaus morgen zu jener Brücke, auf der Katharina gerichtet werden soll.«
»Was denkt Ihr denn? Sollen wir dieser Grausamkeit auch noch zusehen?«
»Ei gewiss! Ich brauche noch die Hilfe eines kräftigen Burschen. Und nun lass uns eilen, Maria, die Zeit ist knapp.«
Hans trieb das müde Maultier mit einem Stock an, um es zu einem schnelleren Schritt zu bewegen. Sie reihten sich in den Zug kleiner Händler und Bauern ein, die auf der Via Regia ihren Dörfern zustrebten. Am Gebäude des Kuhturms bogen sie von der Straße ab.
Thomas, der mit den Milcheimern hantierte und zunächst nur flüchtig aufgeblickt hatte, starrte die bäuerlich gekleidete Maria entgeistert an.
»Maria, wo kommst du her? Wieso trägst du diese Kleidung? Bist du die entlaufene Nonne, die man überall sucht?« Sein irritierter Blick streifte immer wieder Hans, den Fischer.
Maria legte bittend ihre Hand auf Thomas’ Schulter.
»So viele Fragen auf einmal, Thomas. Es ist etwas Schreckliches geschehen. Katharina soll an meiner statt gerichtet werden.«
»Nein!« Thomas wurde blass und wich zurück. »Aber … aber das verstehe ich nicht. Hat Klaus sie verraten? Sie ging mit ihm, nachdem ich sie im Wald versteckt gehalten hatte. Katharina! Meine Katharina! Das müssen wir verhindern.«
Tränen traten in seine Augen, und er geriet völlig außer sich.
»Deswegen sind wir hier«, versuchte Hans ihn zu beruhigen. »Ist es möglich, dass sich Maria bei euch verstecken kann, zumindest bis morgen?«
Thomas nickte eifrig.
»Natürlich. Was habt Ihr vor?«
»Katharina zu befreien. Aber das wird nicht ganz einfach.« Er betrachtete Thomas von oben bis unten. »Du schienst mir ein pfiffiger Bursche zu sein und körperlich gewandt.«
Eine steile Falte des Zorns grub sich in Thomas’ Stirn.
»Diesen Klaus werde ich vierteilen. Er hat mir fest versprochen, auf Katharina aufzupassen. Er erzählte von einem Rittergut, dessen Verwalter er kenne. Zu ihm wollte er Katharina bringen, und sie vor ihrem angehenden Ehemann schützen. War das etwa eine böse Falle?«
»Das glaube ich nicht. Vielleicht ist ihm jemand von den Häschern des Propstes gefolgt, als er Katharina besuchte. Wir brauchen auch Klaus’ Hilfe. Magister Siebenpfeiffer sucht ihn.«
Thomas schaute immer noch düster und misstrauisch drein.
»Und wenn Klaus doch ein Verräter ist?«
Maria ahnte seine Gedanken, und ihr tat Thomas Leid. Aber im Augenblick ging Katharinas Leben vor.
»Vertrau uns, Thomas. Hans weiß, was er tut. Uns allen liegt daran, meine Schwester zu retten.«
Langsam ließ sich Thomas besänftigen,
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