Die Schwester der Nonne
nicht leugnen. Ich habe zwei Tage und Nächte Zwiesprache mit Gott gehalten, und er hat zu mir gesprochen.«
»So, so. Also Gott ist auf deiner Seite.«
»Aber Gott hat mir Katharina genommen. Sie ist verschwunden. Wahrscheinlich ist sie im Bach ertrunken und fortgespült worden.«
Siebenpfeiffer seufzte. Er würde Klaus nicht davon abbringen können. Er würde sich damit abfinden müssen.
»Was erzählst du für einen Unsinn? Aber Katharina wird ertrinken, wenn du nicht augenblicklich zur Vernunft kommst.«
Klaus riss die entzündeten Augen auf.
»Was wisst Ihr?«
»Du dummer Junge, ich weiß, dass du sie immer heimlich besucht hast, an einem Ort, den nur du kennst.«
»Wirklich?« Ein kleines Lächeln erhellte sein Gesicht, doch dann stürzten wieder Tränen aus seinen Augen. »Und nun ist sie tot.«
»Hast du mich nicht verstanden? Sie wird sterben, wenn du dich nicht augenblicklich zusammenreißt. Sie befindet sich in den Fängen des Propstes, der sie für ihre Schwester hält, die aus dem Georgenkloster geflüchtet ist.«
»Woher wisst Ihr das? Oh, ich muss sie retten!«
»Zunächst musst du dich selbst retten. Du bist viel zu schwach. Komm mit heim. Du musst dich stärken mit Brot und Bier und Speck. Du brauchst Kraft.«
»Aber … aber dann ist es vielleicht zu spät.«
»Nun höre einmal auf deinen alten Lehrer. Auch wenn er nichts von der Liebe versteht, so hat er doch ein weiches Herz. Ein viel zu weiches Herz. Ich werde dir helfen. Aber du musst tun, was ich dir sage.«
Klaus nickte schwach und wankte an Siebenpfeiffers Seite zum Quartier.
»Bitte erzählt, was Ihr wisst.«
Während sich Klaus stärkte, erzählte Siebenpfeiffer in knappen Worten von der angekündigten Hexenprobe, von Marias unerwartetem Auftauchen und dem ungeheuren Verdacht der Verwechslung der beiden Schwestern.
Klaus sprang auf.
»Wir müssen zum Propst und den Irrtum aufklären«, rief er erregt.
»Nein, Marias Liebhaber scheint einen anderen Plan zu verfolgen. Wir sollen morgen zur Brücke kommen, wo die Hexenprobe stattfindet.«
Klaus rang nach Luft. »Erwartet Ihr von mir, dass ich zuschaue? Nein, das könnt Ihr nicht von mir verlangen.«
»Ich bat dich, endlich auf mich zu hören, Klaus. Mir erschien dieser junge Mann sehr vertrauenswürdig. Er wird Katharina retten, wenn ich auch noch nicht weiß, wie er es bewerkstelligen will, und wir sollen ihm dabei behilflich sein.«
Nur langsam konnte Siebenpfeiffer Klaus davon überzeugen, nicht kopflos in sein eigenes Unglück zu rennen. Geduld war nicht gerade Klaus’ Stärke. So wurde die nächste Nacht für ihn zu einer schweren Probe.
Als sich die Nacht über die Stadt senkte, kniete Klaus in der kleinen Kammer nieder. Seine beiden Kommilitonen Melchior und Johann leisteten ihm Beistand. Zu dritt beteten sie für die beiden Schwestern. Magister Siebenpfeiffer hätte wohl einige juristische Einwände vorzubringen gehabt, aber er dachte daran, dass er im Hause des Hieronymus Preller immer gut behandelt worden war. Auch wenn er manche Meinung des Kaufmanns nicht teilte und viele Leute in der Stadt sagten, es sei ein unzüchtiges Haus wegen Philomena, seiner Geliebten, die sich wie eine Ehefrau aufführte, so waren die Spenden und Gaben, die sowohl Hieronymus als auch seine beiden Töchter großzügig verteilten, sehr willkommnen, sowohl den Armen und Bedürftigen der Stadt als auch dem Kirchensäckel.
So gesellte sich der Magister, nachdem er seine Vorbereitungen für den nächsten Tag erledigt hatte, zu den drei Studenten, um mit ihnen zu beten.
Siebenpfeiffer hoffte, dass das Kirchengericht selbst entschied und nicht, wie es manchmal üblich war, die juristische Fakultät der Universität zu Hilfe rief. Vielleicht hätte der Magister in diesem Fall sogar versuchen können, das Urteil anzuzweifeln, aber er glaubte nicht, dass er damit bei Benedictus durchgekommen wäre. Wenn das Kirchengericht einmal eine Hexe oder einen Zauberer ausfindig gemacht hatte, gab es für die oder den Unglücklichen keine Rettung mehr. Besonders bei begüterten Angeklagten sah die Kirche zu, das Vermögen der Angeklagten einzuziehen, sobald sie schuldig gesprochen waren.
Außerdem war das Volk dankbar für derartige Sündenböcke. In diesem Sommer gab es Dürre und Hagel, Blitzschlag und totes Vieh, unbekannte Krankheiten und den Tod des Landesherrn. Dafür musste jemand verantwortlich sein, der mit dem Bösen im Bunde war. Das herauszufinden war Sache des Inquisitionsgerichts.
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