Die Schwester der Nonne
Nonne Maria zu sein?«, fragte Benedictus.
Katharina bewegte die Lippen, aber kein Ton kam heraus. Ein junger Mönch trat zu ihr.
»Im Namen unseres Herrn, so gestehe doch, Maria. Gott nimmt sich auch der Sünderinnen an. Aber er will die Wahrheit hören. So sprich sie endlich aus! Ich werde für deine Seele beten.«
Benedictus zog ein gelangweiltes Gesicht. Wie lange wollte diese verstockte Nonne ihn noch zum Narren halten?
»Streckt sie«, befahl er den Folterknechten.
Diese hängten zwei schwere Gewichte an Katharinas Beine. Dann zogen sie an den Ketten, die ihre Arme fesselten. Sie zogen langsam, und langsam kam auch der Schmerz. Er steigerte sich ins Unerträgliche. Diesmal fiel Katharina nicht in eine gnädige Ohnmacht. Ab und zu ließen die Knechte die Kette nach, wenn sie bewusstlos zu werden drohte. Ihre Schreie wurden schwächer. Benedictus hob die Hand.
»Gestehe, dass du Maria bist!«
»Ich – bin – ….«
Er winkte kurz, die Kette ruckte an. Der Rest des Satzes ging im Schrei unter.
»Gestehe, dass du Maria bist!«
»Oh heilige Jungfrau, hilf«, schrie Katharina. »Mutter Maria, hilf!«
»Sie hat es gesagt«, rief der junge Mönch. »Sie hat zugegeben, Maria zu sein.«
Benedictus erhob sich und trat zu Katharina.
»Ich habe nicht richtig gehört. Sag, dass du Maria bist.«
»Ja, ja, ich bin es, Maria, Maria, Maria, Maria, Maria … Maria.«
Sichtlich erleichtert wandte sich Benedictus ab.
»Lasst sie herunter.«
Wie ein Sack fiel Katharina auf den Boden und blieb reglos liegen.
»Wir ziehen uns jetzt zur Beratung zurück. Morgen wird das Urteil gefällt.« Er ging zur Treppe. »Bruder Tobias, du wirst dabei sein.«
Der Raum war prächtig ausgestattet mit edlen dunklen Hölzern an den Wänden, mit kunstvoll verzierten Möbeln und großen Gemälden in prunkvollen goldenen Rahmen. Sie zeigten Szenen aus dem Alten Testament. In einem besonderen Erker erhob sich ein Kruzifix mit der Darstellung des gekreuzigten Heilands. Der ganze Raum atmete Kunstsinn und Erhabenheit. Durch die bunten, in Blei gefassten Scheiben drang das Sonnenlicht und malte bunte Kringel auf den Boden.
Zwölf edle Chorherren des Thomasklosters standen auf der einen Seite des Raumes an der Wand. In einer Ecke hockte zusammengekrümmt Bruder Tobias, die Kapuze seiner Kutte tief ins Gesicht gezogen. Er war der Einzige, der schwieg. Aber seine Sinne waren geschärft, und er lauschte jedem Wort, das gesprochen wurde.
Benedictus lehnte sich auf die Armstütze seines Sessels und betrachtete mürrisch die Äbtissin, die vor Zorn bebend auf und ab lief.
»Ich habe alles in den Fluss werfen lassen, was an Maria erinnert«, schnaubte sie wütend. »Sie hat eine furchtbare Schande über uns gebracht. Wir haben die Zahl unserer Gebete an die heilige Jungfrau verdoppelt, um sie wieder versöhnlich zu stimmen. Maria hat den Tod verdient.«
»Gemach, gemach, liebe Schwester. Wir danken zunächst unserem Bruder Tobias, der die flüchtige Nonne aufgespürt hat und uns zurückbrachte. Leider mussten wir feststellen, dass sie sehr verstockt und verblendet war. Sie leugnete ihre eigene Person. Man sagt, dass sie mit einem Liebhaber auf einem Bauerngut untergekrochen war und mit diesem Mann in Schande lebte. Ihr habt wirklich sehr schlecht auf sie aufgepasst, liebe Schwester.«
Die Äbtissin zitterte und bebte am ganzen Leib, und es war ein Wunder, dass man bei ihrer dürren Gestalt nicht alle Knochen klappern hörte.
»Sie muss mit dem Teufel im Bunde sein, der ihr geholfen hat zu fliehen. Bislang ist dies noch keiner Nonne gelungen.«
»Ich hörte, sie sei übers Wasser geflohen. Doch wenn sie eine Hexe ist, dann kann sie nicht übers Wasser fliehen. Fließendem Wasser wohnen übernatürliche Kräfte inne. Sie bilden eine Barriere für Hexen und Geister.«
»Vielleicht wurde sie von einem Wassergeist verhext«, ließ die Äbtissin nicht locker. »Sie hat auch an der heiligen Quelle des Marienborns gehext. Die dummen Leute sollten glauben, sie sei eine Heilige. So hat sie sie alle verblendet.«
Der Propst dachte nach.
»Wir haben eine hochnotpeinliche Befragung durchgeführt, als deren Ergebnis sie gestand, die entlaufene Nonne Maria zu sein. Schreiber!«
Mit unbewegtem Gesicht entrollte der Schreiber das Pergament, auf dem er Marias Geständnis niedergeschrieben hatte und begann, es vorzulesen.
»Genug, genug«, winkte die Äbtissin ab. »Ich will endlich die Ehre unseres Klosters wiederhergestellt wissen. Die Hexe soll
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