Die Schwester der Nonne
nieder.
»Also, hört genau zu«, sagte Hans. »Ihr beide müsst das Boot genau an der Mündung vertäuen, aber so, dass ihr es auch schnell wieder lösen könnt. Zwar ist es nicht weit bis zur Brücke, aber es kann sein, dass Katharina trotzdem viel Wasser schluckt und sie mehr tot als lebendig herauskommt.«
»Was hast du vor?«, wollte Klaus wissen.
»Ich schwimme mit einem Seil von hier aus bis zur Brücke. So viel ich weiß, wird die Verurteilte stromabwärts gestoßen, so dass die Leute auch dahin schauen werden. Ich tauche unter, sobald sie ins Wasser gestoßen wird, und schneide sie vom Seil los.«
Er hob ein dolchähnliches Messer empor.
»Dann schlinge ich dieses Seil um sie, und ihr müsst sofort ziehen, bis sie hier ankommt. Hievt sie ins Boot und klopft ihr das Wasser aus dem Hals. Sie wird viel davon geschluckt haben.«
Klaus riss seine Augen auf.
»Und wenn uns jemand sieht?«
»Es darf uns niemand sehen. Ihr rudert sofort stromaufwärts, bis der Seitenarm wieder in die Elster mündet. Wartet nicht auf mich, ich werde euch schon finden. Hauptsache, Katharina befindet sich in Sicherheit.«
»Das kann niemals klappen«, rief Klaus erregt. »Das ist Wahnsinn! Sie wird sterben.«
»Sie wird auch so sterben. Wenn du ein Hasenfuß bist, dann geh zur Brücke und schau zu, wie sie ersäuft wird wie ein Hund. Glaubst du etwa nicht an ihre Unschuld?«
»Natürlich! Aber ich begreife immer noch nicht, warum Katharina für Maria sterben soll. Wo ist Maria?«
»Bei mir«, erwiderte Thomas.
»Warum geht sie nicht zum Propst und klärt die Verwechslung au f ?«
»Dann wird sie sterben. Katharina hat sich freiwillig für Maria geopfert. Schau dir diese hysterische Menge an. Sie wollen eine Hexe sterben sehen. Zu viel Unheil ist in diesem Jahr geschehen, und sie glauben, damit Gott besänftigen zu können.«
Klaus senkte den Kopf.
»Davon war auch ich bislang überzeugt. Schließlich studiere ich die Jurisprudenz. Soll das alles falsch gewesen sein?«
»Jetzt ist keine Zeit, philosophische Gedanken zu wälzen. Pack lieber richtig an, damit Katharina schnell aus dem Wasser kommt, ohne vorher aufzutauchen, denn dann würde sie als schuldig gelten.«
»Das geht nicht gut«, klagte Klaus.
Thomas warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Wenn du Angst hast, dann hau ab! Hans riskiert sein Leben und ich auch, um die Schwestern zu retten. Du spielst dich nur auf, wenn du sie besteigen kannst wie ein Platzhirsch.«
»Streitet nicht, sie kommen!«
Hans hob die Hand und gebot ihnen zu schweigen. Dann entledigte er sich seines groben Bauernkittels, steckte das Messer in den ledernen Gürtel seiner Hose und beugte sich über den Rand des Kahns. Von der äußersten Spitze aus konnte er um die Mündung blicken und zur Brücke. Dort herrschte mittlerweile großes Gedränge. Als der Zug der Mönche und Nonnen mit Katharina sich näherte, verstummte der Lärm. Ein entsetztes Raunen ging durch die Zuschauer.
»Sie war wohl schon im Fegefeuer«, flüsterte eine Frau angesichts Katharinas versengtem Haar und der entstellenden Wunden am Kopf.
»Jetzt sieht man, dass sie eine Hexe ist, abscheulich und hässlich«, ließ sich ein Mann vernehmen. »Ihre Schönheit war nur Tarnung.«
Hans hatte sich das Ende des langen Seils um die Hüfte geschwungen und ließ sich lautlos ins Wasser gleiten. Mit ausholenden Armbewegungen schwamm er aus der Mündung des Seitenarms in den Fluss und ließ sich mit der Strömung treiben. Immer wieder tauchte er in die Tiefe und benutzte ein dünnes Rohr zum Atmen, dessen oberes Ende aus dem Wasser ragte. Er würde es Katharina in den Mund stecken, damit sie es bis zur Mündung schaffte. Für einen winzigen Augenblick beschlichen ihn Zweifel ob des wahnwitzigen Unterfangens. Klaus hatte Recht, es war Wahnsinn! Doch es gab keine andere Möglichkeit. Der Propst würde nie einen Fehler eingestehen und musste der blutgierigen Meute ein Opfer hinwerfen. Zu tief saß die Angst und Furcht in den Herzen der Menschen, als dass sie Mitleid mit einer Hexe gehabt hätten.
Alle wichen zurück, als der Zug an der Brücke hielt. Würdevoll und mit strenger Miene betrat Propst Benedictus die Brücke. Der Kreuzträger stellte sich an seine Seite, als er die Hände zum Himmel hob.
»Gott ist mein Zeuge, dass wir gefastet und gebetet haben, um für die Seele der Unglücklichen zu bitten. Aber sie hat schwere Schuld auf sich geladen, so dass es keinen anderen Weg gibt, um Gott zu versöhnen. Sie hat
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