Die Schwester der Nonne
hielt das tropfende Ende des Seils in der Hand und blickte ihnen bang entgegen.
»Ein Messer!«
Thomas sprang auf, stieß Klaus beiseite und wühlte auf dem Boden des Kahns, bis er ein kleines, rostiges Messer fand, mit dem Hans die gefangenen Fische abstach. Er reichte es Hans, der hastig die Fesseln an Katharinas Füßen und Händen durchschnitt.
»Hilf mir! Wir müssen sie lang ausstrecken.«
Sie zogen an ihren Armen und Beinen und legten sie flach auf den Rücken. Dann begann Hans, ihre Arme wie einen Schwengel zu bewegen.
»Mach weiter!«, rief er Thomas zu, der die Frage verschluckte, die ihm auf der Zunge lag, während Hans nun kräftig gegen Katharinas Brustkorb drückte. Zwei, drei, vier Mal. Plötzlich bäumte sich Katharina auf. Hans rollte sie zur Seite, und sie übergab sich. Ein Schwall Wasser nach dem anderen brach aus ihr heraus.
»Sie lebt!« Thomas konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Rührung und Erleichterung erfasste ihn, und er nahm sie in die Arme.
»Sie ist noch nicht in Sicherheit«, warnte Hans. »Los, ins Boot mit ihr. Wir müssen gegen die Strömung rudern bis zum Hauptarm der Elster.«
Zum Glück führte der halb verlandete Seitenarm nur wenig Wasser, und so stakten sie zu dritt das Boot flussaufwärts. Es war keine achtel Meile, bis sie die Elster erreichten. Klaus war aus seiner Erstarrung erwacht und ruderte mechanisch, während sein entsetzter Blick fortwährend auf Katharina ruhte, die zusammengekrümmt am Boden des Kahns lag und qualvoll hustete. Immer wieder erbrach sie Wasser und rang röchelnd nach Luft.
Nichts erinnerte mehr an das lebenslustige, liebeshungrige und fröhliche hübsche Mädchen, das er auf dem Rittergut verlassen hatte. Seit Jahren beschäftigte sich Klaus mit der Jurisprudenz, mit der Rechtsprechung und auch mit den zugehörigen Strafen. Bislang hatte er nicht den geringsten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des ganzen Systems gehegt, und ihm war so plausibel erschienen, was Magister Siebenpfeiffer in seinen Vorlesungen vermittelte.
Wenn auch Hexenprozesse der kirchlichen Rechtsprechung oblagen, so holte nicht selten das Kirchengericht Hilfe von der juristischen Fakultät der Universität und der zivilen Gerichtsbarkeit. Doch im Gegensatz zu anderen Verbrechen wie Raub, Mord, Brandstiftung oder Diebstahl erforderte die Hexerei wegen ihrer besonderen Schwere, die die Autorität Gottes untergrub, auch eine besondere Verfahrensweise.
Die Vorschriften der normalen gesetzlichen Praxis wurden häufig übergangen, um die geforderten Schuldsprüche zu erwirken. Beweismittel, die man in normalen Verfahren nicht zugelassen hätte, galten uneingeschränkt. Nicht selten stand der Druck der Öffentlichkeit dahinter, eine Hexe ihrer gerechten Bestrafung zuzuführen. Am eigenen Leib hatte Klaus im Verlies des Thomasklosters erfahren, dass er unter der Folter bereit gewesen wäre, einen Pakt mit dem Teufel zu beschwören.
Nun war er bereit zu schwören, dass Katharina niemals etwas Unrechtes getan hatte, erst recht keine Hexerei. Und dass es tatsächlich Katharina war, die jetzt mehr tot als lebendig zu seinen Füßen lag. Unbändiger Zorn gegen diese grausame Ungerechtigkeit stieg in ihm auf. Am liebsten hätte er den fetten Propst wie ein Schwein der Länge nach aufgeschlitzt, aber damit hätte er sich nur auf eine Stufe mit den unmenschlichen Bütteln gestellt.
»Ich werde ein berühmter Richter werden, und dann werde ich für Gerechtigkeit sorgen«, schwor er. Dann blickte er zu Hans. »Wo bringen wir Katharina hin? Sie braucht dringend medizinische Hilfe.«
Der hob die Schultern.
»Wo finden wir die?«
»Bei Griseldis«, platzte Thomas heraus. »Wenn wir noch ein Stück stromaufwärts fahren, gelangen wir in die Luppe. Auf diesem Flüsschen können wir dorthin rudern, wo die alte Griseldis lebt.«
»Wir müssen Maria vom Kuhturm holen«, erinnerte Hans.
»Die Luppe fließt ganz in der Nähe des Kuhturms. Wir können sie mitnehmen.«
»Also los, wir müssen uns eilen. Katharina geht es sehr schlecht.«
Sie ruderten, stakten, manövrierten und kämpften mit den sich durch die Aue windenden Wasserläufen, diesem Aderngeflecht aus Wasserläufen, Seitenarmen und Verbindungskanälen, die dem sumpfigen Auwald und den Niederwiesen Leben spendeten.
Schon bald konnten sie wieder mit der Strömung fahren. In der Nähe der Lindenauer Mühle zweigte das Coburger Wasser ab, das direkt am Kuhturm vorbeiführte. Sie legten an, um Maria zu holen.
Hans sprang ans
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