Die Schwester der Nonne
stattliche Leibesfülle hatte stark abgenommen. Vergrämt sah er aus und müde, wie einer, dem das Leben nichts geschenkt hatte. Und neben ihm …
»Philomena!«
Silberne Fäden zogen sich durch ihr dunkles Haar, das fast gänzlich von einer dunkelgrünen Samthaube bedeckt war. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, gleichzeitig stützte sie Hieronymus.
»Vater, mein Gott, Vater!« Maria lief los und fiel ihm um den Hals. Beinahe hätte sie ihn umgeworfen.
»Mein Kind«, schluchzte er, und sein Kinn zitterte. »Mein Kind, was habe ich dir angetan.«
»Du hast keine Schuld, Vater. Bitte weine nicht. Es waren andere, die Schuld auf sich geladen haben, aus Verblendung, Habgier, Rachedurst. Das Böse steckt in den Menschen selbst. Aber sie suchen es immer bei den anderen.«
Hieronymus betrachtete sie zärtlich.
»Wie anders du aussiehst. So … erwachsen.«
Maria lachte.
»Das macht die Liebe. Ich wurde zur Frau.«
Er deutete auf ihre Haube.
»Du bist verheiratet?« Maria griff nach Hans’ Hand und zog ihn zu sich. »Nein, aber ich hoffe, wir werden es bald sein. Wenn du uns deinen Segen gibst.«
Hieronymus schaute von einem zum anderen.
»Was ist mit Katharina geschehen? Hat sie Eckhardt geheiratet?«
Maria wich seinem Blick aus.
»Man hat sie an meiner statt geschwemmt.«
»Nein«, Hieronymus wich zurück.
»Was sind das nur für Bestien!«
Maria und Philomena stützten ihn.
»Bitte beruhige dich, Vater. Hans hat sie gerettet. Es geht ihr … den Umständen entsprechend gut. Sie befindet sich in einem Versteck im Wald.«
»Meine Kinder«, flüsterte Hieronymus ergriffen. »Ich habe alles im Leben nur für euch getan. Warum straft uns Gott so hart?«
»Es ist nicht Gott, Vater. Es sind die Menschen. Komm, lass uns ins Haus gehen. Du bist müde von der Reise. Du warst …« Sie warf einen scheuen Blick auf Herrn Sikora.
»In Krakau, jawohl. Er ist ein echter Freund, der auch in der Gefahr zu mir hielt. Ich musste flüchten, wegen Philomena.«
Maria lächelte.
»Ich weiß, sie ist Jüdin, nicht wahr?«
Hieronymus’ Augen weiteten sich.
»Du hast es gewusst?«
»Es ist mir nicht verborgen geblieben. Es war allerdings ein Wunder, dass es niemand anderes bemerkt hat. Ihr hattet Glück. Aber ist es nicht gefährlich, wieder nach Leipzig zu kommen? Ihr wisst, dass der Rat die Ansiedlung von Juden in der Stadt untersagt hat.«
Hieronymus senkte den Kopf.
»Das wissen wir. Es hat Philomena eine große Überwindung gekostet, und ich habe es ihr freigestellt, aber … du hast die Liebe nun selbst erfahren und kannst nachfühlen, warum wir so gehandelt haben.« Er atmete tief durch. »In Krakau ist Philomena christlich getauft worden. Und«, er hielt inne und warf Maria einen um Verständnis bittenden Blick zu, »wir haben geheiratet.«
Maria lächelte.
»Deshalb die Haube.«
Philomena, die bislang geschwiegen hatte, trat einen Schritt vor.
»Ich bin nun die rechtmäßige Gattin. Niemand kann mir die Ansiedlung verwehren. Außerdem …«, nun senkte sie den Kopf, als schäme sie sich ihrer Gefühle.
»Ich hatte Sehnsucht nach Leipzig. Ich habe hier sehr glückliche Jahre verbracht. Wenn ich geahnt hätte, was in der Zwischenzeit geschehen ist …«
Maria hakte ihren Vater unter. »Gehen wir ins Haus. Ich sehne mich danach, wieder eine richtige Familie zu haben.«
Eine halbe Meile vom Prellerschen Handelshaus und den Stadttoren von Leipzig entfernt stand die Hütte der alten Griseldis inmitten der Sümpfe und Wasserläufe. Der Kahn von Hans lag angepflockt im Dickicht. Katharina lag auf dem Bett der alten Griseldis, die sich über sie beugte. Sie schüttelte immer wieder den Kopf.
»Oje, oje, oje, das sieht wirklich schlimm aus«, murmelte sie mit ihrem zahnlosen Mund. »Gegen die Dummheit der Menschen ist kein Kraut gewachsen.«
»Du kannst ihr nicht helfen?«, fragte Thomas erschrocken. »Aber du kennst doch sonst gegen alle Übel ein Mittel.«
»Ich sagte nicht, dass ich Katharina nicht helfen kann«, erwiderte sie unwirsch. »Gegen die äußeren Wunden kann man etwas tun, nicht aber gegen die inneren. Steht nicht so glotzäugig herum. Ich brauche mehrere Eimer sauberes Wasser. Sauberes, versteht ihr? Das kann dieser junge Mann besorgen. Thomas, hilf mir, das versengte Haar abzuschneiden und sie zu entkleiden.«
»Entkleiden?« Klaus runzelte die Stirn. »Thomas soll das Wasser holen.«
»Jetzt ist es aber genug«, wetterte Griseldis. »Ich muss alle ihre Wunden behandeln. Diese
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