Die Schwester der Nonne
Fluten. Mit kräftigen Armstößen und mit Hilfe der Strömung in der Mitte des Flusses hatte er den strampelnden Propst schnell eingeholt. Er packte ihn an seiner Kutte und zog ihn zum rettenden Ufer.
»Rausklettern könnt Ihr wohl allein«, sagte er, als sie beide Grund unter den Füßen spürten.
Nein, es war wenig würdevoll für einen so einflussreichen und angesehenen Mann wie Benedictus, wie er, pitschnass und schlammig, auf allen vieren den steilen Hang zum Ufer hinaufkroch. Er schwor sich, all die zu strafen, die ihn in dieser Sache so schlecht beraten hatten. Er verteufelte alle vertrockneten Nonnen, an ihrer Spitze die Äbtissin, die eifernden Mönche und geifernden zurückgewiesenen Liebhaber, die Lügner und Meineidigen. Er sehnte sich nach Ruhe und Abgeschiedenheit, nach den klaren Stimmen seiner Chorknaben und der Reinheit ihres Gesangs.
Mönche, die am Ufer entlanggeeilt waren, halfen Benedictus auf die Beine. Er blickte zu Maria, die, begleitet von den Bürgern der Stadt, ihm entgegenkam.
»Maria Preller, nimm dies zur Kenntnis. Ich bin nur ein einfacher Diener Gottes, ein Mensch, der nicht davor gefeit ist zu irren. Ich gebe zu, dass ich einem fatalen Irrtum erlegen bin und es deshalb zu diesem schrecklichen Unglück kommen konnte. Ich hoffe, Gott wird mir verzeihen. Ich werde mich in die Stille der Einsamkeit zurückziehen und Buße tun. Von dir aber, Maria, nehme ich den Kirchenbann. Lebe, wie dein Herz es dir befiehlt.«
Unbeschreiblicher Jubel brandete auf. Hans wurde auf starke Arme gehoben und in die Luft geworfen.
»Es leben Hans und Maria! Hoch! Hoch! Hoch lebe die Liebe!«
Benedictus und sein Gefolge nutzten das erneute Durcheinander, um schnellstmöglich den Weg zurück zur Stadt anzutreten.
Im Triumphzug wurden Maria und Hans von den Leipziger Bürgern in die Stadt zurückbegleitet. Wankelmütig waren die Ratsherren samt dem Bürgermeister; sie wussten nicht, wie sie die Situation bewerten sollten. Auch wenn der Volkszorn gegen den Propst und die Chorherren zum Glück glimpfliche Entladung gefunden und Benedictus klugerweise einen Rückzieher gemacht hatte, der ihm half, das Gesicht zu wahren, so haftete doch immer noch ein beachtlicher Makel an der ganzen Familie Preller. Dass Hieronymus Preller einen nicht unerheblichen Anteil am Wohlstand der Stadt und der Entwicklung des Handels gehabt hatte, blieb unberücksichtigt.
Preller war fort, Katharina tot und Maria eine entlaufene Nonne. Man hatte von der Familie nichts mehr zu erwarten, weder in finanzieller Hinsicht noch in Bezug auf eine Steigerung des Ansehens.
»Wir sollten ihnen das Bleiberecht verwehren«, schlug der Bürgermeister vor, während sie den Bürgern folgten. »Sollen sie sich woanders ansiedeln. Die Prellers haben für genug Unruhe in Leipzig gesorgt. Und wir als Rat haben viel zu viel geduldet.«
»Wir sollten es in der nächsten Ratsversammlung diskutieren und danach einen Beschluss fassen«, schlug einer der Ratsherren vor, was die anderen mit Zustimmung bedachten.
Währenddessen näherte sich aus östlicher Richtung ein Zug von vier schweren Planwagen der Stadt. Sie waren hoch beladen und wurden von kräftigen Pferden gezogen. Deshalb kamen sie nur langsam vorwärts. Die Nacht hatten sie in einem Dorf zwei Meilen vor den Mauern der Stadt verbracht und fuhren nun zu dieser Morgenstunde zum Grimmaischen Tore ein. Die Stadtwache beäugte den Zug misstrauisch und hielt ihn an, um ihn zu kontrollieren.
»Was ist denn los?«, wollte der Führer des Trecks wissen. »Warum dieses Misstrauen?«
»In der Stadt gehen die Hexen um«, murrte einer der Wachoffiziere. »Man kann nicht vorsichtig genug sein. Eine haben sie gefangen und sie heute der Wasserprobe unterzogen. Verflucht sollen sie sein, diese Weiber, die nur Unglück bringen.«
Er bekreuzigte sich dreimal. Dann winkte er den Tross weiter.
»Hexen? Man hält es nicht für möglich.«
Die Wagen rumpelten durch die Grimmaische Straße bis zum Marktplatz.
»Wo sind denn all die Menschen? Die Stadt ist leer. Hat hier die Pest gewütet?«
Der Zugführer ging zu einem der Wagen, um einem alten Mann beim Absteigen behilflich zu sein.
»Wir sind angekommen, aber der Empfang fällt sehr bescheiden aus«, meinte er und rückte seinen derben Umhang zurecht, der ihn auf der weiten Reise vor Wind und Wetter schützte. »Ich hoffe, du bist nicht zu sehr enttäuscht.«
Der alte Mann schüttelte nur stumm den Kopf und blickte sich um. Tränen standen in seinen
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