Die Schwester der Nonne
Ehrfurcht, aber könnt Ihr in die Zukunft schauen?«
»Vielleicht.« Wieder warf er scheue misstrauische Blicke durch den Schankraum, aber niemand achtete auf die beiden Männer.
»Ihr habt damals auch gewusst, wer die Prinzen entführt hat. War das Eure Gelehrsamkeit oder Hexerei?«
»Hütet Eure Zunge, Preller, oder wollt Ihr mich in die Fänge der Inquisition treiben? Der Propst hat überall seine Spitzel.«
»Ach was, hier hört uns niemand, und ich bin gewiss kein Spitzel dieser Schwarzkittel. Ich will nur wissen, was mich erwartet, damit ich meine Geschäfte darauf einrichten kann.«
»Ihr denkt immer nur an Geld und Euren Vorteil, Preller«, schnaufte der Magister verächtlich.
»Sicher«, bestätigte Hieronymus mit einem Grinsen. »Wo wäre die Stadt ohne uns Kaufleute? Wo wären die Klöster, wenn es uns Kaufleute nicht gäbe? Ich weiß, was alle denken, aber ich mache mir nichts daraus. Dem Handel gehört die Zukunft und dem Bürgertum die Macht. Schon die Teilung Kursachsens hat dem Handel sehr geschadet. «
»Mag sein, Preller. Aber was wollt Ihr machen, wenn unsere Obrigkeit anders handelt, als Ihr denkt?«
»Dann müssen wir unsere Obrigkeit zwingen, dass sie so handelt, wie wir denken.«
Siebenpfeiffer lachte auf.
»Ihr seid ein Fantast, Preller. Und unvorsichtig. Ich glaube nicht, dass Eure Denkweise der Obrigkeit genehm ist.«
Verschwörerisch beugte sich Hieronymus über den Tisch.
»Darin sind wir uns gleich, Siebenpfeiffer. Jeder weiß vom anderen ein Geheimnis. Und nun sagt, gibt es wieder eine Teilung des Landes?«
Auch der Magister legte seinen Oberkörper fast auf den Tisch.
»Wenn sich die Brüder entzweien, dann wird es sie geben«, erwiderte er flüsternd.
»Ich will es nicht hoffen«, wisperte Hieronymus. »Die Wettiner sind mächtige Fürsten, und sie halten prächtig Hof in Dresden, wie man sagt. Was sollte sie entzweien?«
Der Magister kniff die Augen zusammen.
»Menschliche Gier, Preller, menschliche Gier. Sie ist die Triebkraft vielen Übels auf der Welt.«
Ob dieser schlechten Aussichten musste Hieronymus wieder nachdenken. Das alles wollte ihm gar nicht gefallen. Er winkte nach neuem Wein. Das erinnerte ihn an den Anlass, weswegen er in der Schänke saß.
»Ihr sagtet noch gar nichts dazu, dass es zwei sind«, bemerkte Preller, während sie auf ihr Essen warteten.
»Was soll ich dazu sagen? Es ist wohl Gottes Wille. Unsere Mutter Kirche wird sie mit offenen Armen empfangen.«
»Tante Brigitte meint, es wäre Teufelswerk. Ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus. Ich gebe zu, dass es mir eigentlich völlig egal ist, weil ich dieses Teufelsgeschwätz nicht mag. Das ist was für die Pfaffen, die den Leuten Angst einjagen wollen. Wisst Ihr, ich glaube, dass es gut und wichtig ist, dass die Menschen sich untereinander darüber austauschen, was sie wissen, womit sie handeln, und sich so den eigenen Horizont erweitern. Ich habe wundersame Dinge aus der ganzen Welt, und ich höre gern Berichte von Leuten, die weit gereist sind. Meine Wagen haben mich schon in fremde Länder und Städte getragen, und ich bin von all diesen Reisen nicht dümmer geworden. Meine Töchter werden in einem Kaufmannshaus aufwachsen. Sie werden schreiben und lesen und rechnen lernen, weil das wichtig ist. Ich bitte euch, die Patenschaft für meine Zwillinge zu übernehmen.«
»Ich?« Der Magister verschluckte sich beinahe.
»Warum nicht? ich schätze Euch seit vielen Jahren als guten Freund. Ihr könntet den Mädchen etwas Bildung beibringen, was mir, aus Zeitgründen selbstverständlich, versagt bleibt.«
»Wozu brauchen Mädchen Bildung?«, wunderte sich der Gelehrte kopfschüttelnd. »Ihr seid vermögend genug, ihnen eine ordentliche Aussteuer zu geben. Eine Frau sollte nicht zu klug sein. Welcher Mann nimmt sie denn dann?«
»Ich habe doch auch meine Elisabeth genommen«, entgegnete Hieronymus. »Sie ist sehr gebildet. Mir gefällt das.«
»Meinetwegen«, murmelte Siebenpfeiffer, weil er Hieronymus nicht beleidigen wollte. Es war ja noch ein bisschen hin mit der Bildung. Erst einmal mussten beide Kinder groß werden, und da gab es noch viele Hürden zu überwinden in einem Kinderleben.
Der Wirt brachte zwei Teller mit den Hühnchen, einen Korb mit Brot und zwei frische Krüge mit Wein.
»Ich weiß von Handelsreisenden aus Paris, dass es dort Schulen für Mädchen geben soll, geleitet von Nonnen, wo diese das Lesen und Schreiben und Rechnen erlernen und sogar in Philosophie und
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