Die Schwester der Nonne
ihr reden müssen.
Klaus beugte sich über den Tisch, in der Hoffnung, dass Katharina sich auch weit nach vorn beugte, und machte ein verschwörerisches Gesicht.
»Ihr lest tatsächlich die Bibel auf Latein?«
Sein Plan ging auf. Katharina kam nach vorn und nickte mit einem ebenso verschwörerischen Blick.
»Und Ihr habt keine Angst, dafür in der Hölle schmoren zu müssen?«
»Nein.« Sie beugte sich noch ein Stück weiter vor. »Obwohl wir festgestellt haben, dass Pater Gregorius sie bei der letzten Messe falsch zitierte. Es wird sonst niemandem weiter aufgefallen sein, weil außer uns keiner der Kirchgänger des Lateinischen mächtig war.« Sie stockte und schaute ihn mit großen Augen an. »Warum kommt Ihr eigentlich nicht zur Sonntagsmesse?«
»In welche Kirche geht Ihr denn?«, wollte Klaus wissen.
»In die Thomaskirche.«
»Oh … äh … ich gehe immer in die Paulinerkirche. Ist näher an unserem Quartier.«
»Wo wohnt Ihr denn? In einer der Bursen?«
»Nein, beim Magister Siebenpfeiffer höchstpersönlich.«
»Und was hindert Euch daran, zur Messe in die Thomaskirche zu kommen?«, wollte Katharina wissen.
»N … nichts. Der Weg ist nur weiter. Warum sollte ich denn?«
»Weil wir uns dann sehen könnten«, raunte sie. Er starrte sie an und vergaß weiterzukauen.
»Ja«, meinte er schließlich, »das ist eine gute Idee.«
Katharina kicherte verstohlen und rieb sich die Hände.
»Und keiner weiß es! Das ist ein richtiges Geheimnis zwischen uns.«
Die Röte seiner Ohren breitete sich nun auch auf seinen Wangen aus. Was tat sich da für eine wundersame Gelegenheit für ihn auf.
Plötzlich stand der Magister in der Küchentür.
»Agricola, es ziemt sich nicht, seinen Professor warten zu lassen. Wir müssen uns sputen, damit die Seminare pünktlich beginnen.«
»Verzeiht, Herr Magister, das köstliche Essen hielt mich auf.« Er sprang auf. Katharina steckte ihm heimlich einen Apfel in den Ärmel seines Gewandes.
»Wohl eher etwas anderes, das Euch aufhält. Verbrennt Euch nicht die Finger.«
Klaus verschränkte die Arme hinter dem Rücken und grinste schief, während Katharina ihm zum Abschied winkte und mit einem Auge blinzelte.
Der Magister bedankte sich in der ihm eigenen zurückhaltenden Art bei Hieronymus Preller für das Mahl. Hieronymus hatte keine Zeit und winkte ab. Er stritt immer noch mit dem Händler, während draußen vor der Tür nun auch die Knechte der beiden Herren aneinander gerieten. Siebenpfeiffer beeilte sich, aus dem Haus zu gelangen.
»Das ist natürlich keine Welt für einen Gelehrten«, sagte er auf dem Weg zum Kloster zu Klaus, als wolle er sich entschuldigen, dass er für eine Schüssel Suppe sich derart erniedrigte.
»Es ist eine sehr angesehene Familie in der Stadt«, erwiderte Klaus. Er wäre froh gewesen, wenn er so ein Privileg gehabt hätte. Die Aussicht, Katharina sonntags in der Messe zu treffen, erfüllte ihn bereits mit einem beglückenden Gefühl. Plötzlich durchlief es ihn siedendheiß. Es gab eine Möglichkeit, Katharina jeden Tag zu sehen, und zwar ganz nah.
»Sagt, Magister, dieser Unterricht … er ist eine Verpflichtung Eurerseits dem Kaufmann gegenüber?«
»Ja«, erwiderte der Magister knapp.
»Wenn ich Euch richtig verstanden habe, solltet Ihr Euch um die Unterrichtung Eurer Patenkinder kümmern. Das heißt nicht, dass Ihr es selbst tun müsst.«
Mitten in seinem Laufschritt stoppte Siebenpfeiffer.
»Was?«
Klaus unterdrückte ein Grinsen.
»Ihr habt Euch verpflichtet, Euch um die Unterrichtung der Zwillinge zu kümmern. Also könnt Ihr diese unangenehme Aufgabe doch delegieren.«
Der Magister starrte ihn mit finsterem Gesicht an.
»Könnte ich«, erwiderte er nach kurzem Überlegen. »Und an wen?«
Aus Klaus’ Blick konnte er die Antwort leicht ersehen.
»Ihr legt die Lehren der Logik sehr eigenwillig aus, Agricola.«
»Eines bedingt das andere.«
»Das ist ein Gesetz der Logik, richtig.«
»Und wie steht Ihr dazu?«
Der Magister fühlte sich in die Enge getrieben. Sollte er zugeben, dass ihm dieser Unterricht täglich ein kostenloses Mahl bescherte? Sollte er darauf verzichten, nur weil diesem Grünschnabel die Hose bei Katharinas Anblick eng wurde?
»Das kann ich nicht entscheiden«, knurrte er. »Muss mit Preller reden.«
Er stutzte.
»Was ist denn da los?«
Sie hatten das Thomaskloster fast erreicht. Vor dem Tor herrschte ein Auflauf. Eine Menge Mönche riefen gestikulierend durcheinander. Propst Benedictus stand
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