Die Schwester der Nonne
raumfüllend unerschütterlich davor, doch sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
»Da kommt der Magister«, rief einer der Mönche, und alle wandten sich Siebenpfeiffer zu.
»Darf ich erfahren, was der Grund für die Aufregung ist?«, wollte dieser wissen. Benedictus wies anklagend auf die Studenten, die sich neben den aufgeregten Mönchen versammelt hatten und leise miteinander diskutierten.
»Diese Unholde waren es«, donnerte er. »Sie belauerten einen der frommen Diener Gottes beim Fischfang in der Pleiße. Als dieser seine Kutte zum Trocknen in die Büsche hing, haben sie sie ihm gestohlen und an das Tor des Nonnenklosters genagelt. Der Arme musste nackt wie Adam durch die Stadt laufen und sich dem Gespött des Pöbels preisgeben. Ist das eine Art mit einem Diener Gottes umzugehen? Ich verlange von Euch, Magister, dass Ihr den Schuldigen ermittelt und der Gerichtsbarkeit übergebt. Der himmlischen Gerichtsbarkeit!«
Siebenpfeiffer war nicht anzusehen, wie er die ganze Sache aufnahm. Selbst wenn sein Zwerchfell zuckte, so hatte er sich doch ausgezeichnet in der Gewalt.
»Das ist in der Tat ein Frevel«, erwiderte er zweideutig. »Ich hoffe, sein Anblick hat keinen weiteren Schaden verursacht.«
Klaus biss sich auf die Hand, um nicht lauthals loszulachen. Auch die Studenten wandten sich ab. Einige Schultern zuckten verräterisch.
»Ich werde dem Vorfall mit aller Strenge nachgehen«, sagte der Magister und wies mit dem Kopf zum Kreuzgang. »Meine Herren Studiosi, die Mittagspause ist vorbei.«
»Das ist alles?«, empörte sich der Propst.
»Das ist alles«, gab der Magister scharf zurück. »Wegen dieses Streichs werden wir nicht die Vorlesung vernachlässigen. Ihr bekommt Euren Schuldigen, so er sich ermitteln lässt.«
Damit ließ er den Propst einfach stehen.
Das war ein Affront. Darüber waren sich sowohl die Studenten als auch die Mönche im Klaren. Benedictus besaß viel Macht und Einfluss in der Stadt. Er maß den Magister mit giftigem Blick und schwor im Stillen Rache. Im Augenblick konnte er jedoch nichts tun.
Die Studenten folgten Siebenpfeiffer erleichtert. Im Kreuzgang scharten sie sich um ihn. Nach dem kurzen Gebet zur None begannen die Wiederholungen und Übungen zum gelernten Stoff aus den Vorlesungen.
»Nun, meine Herren Studenten, Sie haben heute Vormittag einige Lektionen aus dem römischen Recht gehört. Römisches Recht ist ziviles Recht, und ziviles Recht ist irdisches Recht. Wenn man jemandem die Kleidung entwendet und in frevelhafter Weise zur Schau stellt, dann ist das auch ein irdisches Vergehen. Wie, meine Herren, ist die Rechtslage zu beurteilen?«
Er blickte auffordernd in die Runde. Die Studenten schwiegen. Siebenpfeiffer hob die Augenbrauen.
»Keine Meinung? Wollen Sie nicht einmal Recht sprechen? Im Augenblick stehen Sie eher auf der anderen Seite, der der Verbrecher und Tunichtgute. Einen Menschen bloßzustellen ist ein arger Frevel und ihn dem Spott auszusetzen ebenso. Wir nehmen an, Sie sind Richter und müssten den Fall verhandeln. Ich höre Ihren Standpunkt.«
Zögernd hob sich eine Hand.
»Als Richter würde ich erst einmal die Sachlage klären, Herr Magister. Dazu gehört der Vortrag des Geschädigten. Bislang haben wir die Geschichte nur aus dem Mund des Propstes gehört. Muss denn nicht der Geschädigte selbst aussagen? Schließlich ist er der Kläger.«
»Er kann sich durch einen Rechtskundigen vertreten lassen«, entgegnete der Magister. »Diese Funktion kann auch der Propst ausüben.«
»Der Kläger ist ein Mönch. Ist dann nicht kirchliches Recht anzuwenden?«, fragte ein anderer Student.
»Was dieser Mönch getan hat, war aber sehr irdisch«, fiel ein Dritter ein. »Er hat es nämlich mit einer der Wäscherinnen auf der Bleichwiese getrieben.«
Die anderen lachten.
»Ruhe.« Magister Siebenpfeiffer klopfte mit seiner Rute auf das Katheder. »Wir sprechen über einen Kleiderdiebstahl und nicht über die Sünden des Mönches. Dafür muss er ohnehin Buße tun. Aber das ist keine Sache des römischen Rechts.«
»Schade, ich hätte ihn dazu zu gern vernommen«, grinste Johann.
Diesmal verging die Zeit bis zur Vespera viel schneller, und Klaus vergaß darüber sogar sein kleines Mittagsintermezzo mit Katharina. Als sie sich jedoch zum Abendgottesdienst erhoben, der praktischerweise gleich im Thomaskloster besucht wurde, fielen ihm ihre Worte wieder ein. Sonntag! Am Sonntag würde er sie bei der Messe sehen.
Die Studenten folgten den Mönchen
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