Die Schwester der Nonne
notwendig war. Ein kleines, einzeln stehendes Haus diente der Äbtissin und ihrem Gesinde als Wohnstatt. Im Obergeschoss lagen die Gastkammern für vornehmen Besuch. Weitere Gebäude daneben dienten als Schule, Waschhaus, Brauhaus, Badestube, als Speicher für Mehl, Malz und andere Vorräte und Räume für mancherlei gewerbliche Tätigkeit. Den Übergang zur Klausur bildete das Kapitelhaus, das sich unmittelbar an diese anschloss. Die Klausur war längsseits der Kirche gelegen und zog sich mit ihren Gärten von der Stadt weg die Pleißeniederung hinab. Jenseits der Klausur trennte das lang gestreckte Hospiz mit dem Siechenhaus und den anderen Gastkammern das Klosterviertel vom Viehhof, der mit seinem äußeren Ende über den Fluss hinüberreichte. Hier lagen, noch diesseits der Pleiße, die Pferdeställe mit dem Schirrhaus, das Kornhaus, die Scheunen und die Gesindewohnungen.
Im gütlichen Einvernehmen gestatteten es die Marienmägde der Stadt, das Wasser über ihren Klosterhof zu führen. Jenseits der Pleiße stand die Mühle, hinter der der andere Teil des Viehhofes lag. Dort befanden sich die Ställe für die Rinder und Schweine, Geflügelhäuser, Geräteschuppen, das Schlachthaus und die Schlafstätten der Wächter.
Maria kannte die Örtlichkeiten, aber sie hatte sie bislang nie bewusst wahrgenommen. Als die Pforte hinter ihr ins Schloss fiel, verspürte sie plötzlich einen eisigen Hauch, wie aus einem offenen Grab.
Die Äbtissin des Klosters, Elisabeth von Weißenbach, von edler Abstammung und altersmäßig unbestimmbar, nahm Maria in Empfang.
»Sei willkommen in den Armen des Herrn«, sagte sie und nahm Marias Hand. Sie führte sie unter dem Geleit der anderen Nonnen, die schweigend und demütig den Kopf gesenkt hielten und hinter ihnen her gingen, in den Kapitelsaal. Durch die schmalen hohen Fenster des Saales flutete das Sonnenlicht herein und erinnerte daran, dass es draußen eine andere Welt gab, die für Maria nun nicht mehr existierte. Dort standen zwei weitere Jungfrauen, die als Novizinnen aufgenommen werden sollten. An den Wänden entlang hatte sich die gesamte Klostergemeinde versammelt.
»Kehret ein in unsere Gemeinschaft, in der ihr mit dem sündigen Weltenleben abschließt und euch der Stille und dem Leben zu Ehren Gottes widmen werdet«, ließ sich die Äbtissin vernehmen. »Ihr werdet das Fleisch abtöten, in Einfachheit leben und eure Tage in treuer Hingabe an die Pflicht opfern.«
Maria fröstelte. Hilfreiche Nonnen zogen ihr das schlichte Hemd aus. Eine andere Nonne nahm eine Schere zur Hand. Marias schöne honigblonde Locken fielen eine nach der anderen zu Boden, auf ihr Kleid. Ihr wurde ein weißer Ärmelrock übergezogen, während ihre weltliche Kleidung samt ihrer abgeschnittenen Haarpracht in einen Weidenkorb gepackt wurde, um verbrannt zu werden. Über den Ärmelrock, der bis auf eine Handbreit über den Boden reichte, wurde ein etwas kürzeres schwarzes Skapulier gelegt, das schürzenartig über Brust und Rücken lag und eine Kapuze besaß. Darüber zogen sie ihr eine weiße Kukulle, die glockenförmig bis zu den Knöcheln reichte und mit überlangen Ärmeln und ebenfalls einer Kapuze versehen war. Zur Ausstattung gehörte noch ein weißes Kopftuch, das ihr kahles Haupt bedeckte, und darüber kam der schwarze Schleier.
Zwei Nonnen fassten sie an den Händen und führten sie zur Äbtissin, wo sie das Keuschheitsgelübde ablegen sollte. Die Zeremonie glich fast einer Hochzeit. Zum letzten Mal in ihrem Leben schmückte sie ein weißer Rosenkranz.
»Hiermit versage dich der Welt gänzlich, Maria, die du von nun an nur noch deinem Geliebten Jesus Christus in glühender Liebe zugetan bist, in dessen Bett du gestiegen und der vom Himmel hernieder in deine Brust gekommen ist. Du wirst ihm in Liebe dienen und freudig alle Prüfungen auf dich nehmen, die er dir auferlegt. Dein Leib wird keusch sein, dein Geist sich in Gehorsam üben. In Demut sollst du leben und mit deiner Hände Arbeit dein täglich Brot verdienen. Im Gebet findest du Erfüllung, und der Herr gibt dir, was du ersehnst. So knie nieder und tritt ein in die Gemeinschaft der Schwestern.«
Mit einem Fußfall Marias vor der Äbtissin und jeder der frommen Schwestern und dem Friedenskuss ging die Zeremonie zu Ende. Maria nahm den Rosenkranz von ihrem Haupt und opferte ihn dem Heiland. Der Bund war besiegelt, sie dem Herrn zur Braut gegeben. Von nun an würden die strengen Regeln des heiligen Benedikt ihr Leben bestimmen.
Die
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