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Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandor Marai
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wusste und wusste auch wieder nicht, dass man das alles
vor mir verschlossen hatte, mir die Nachrichten aus meinem alten Leben, aus der
Welt verheimlichte; alles, was mich aus der Vergangenheit und der Wirklichkeit
hätte berühren können; ich durfte nur noch in der Krankheit leben. Ich wusste,
dass man keine Besucher zu mir ließ und meine Post aufbewahrte, mir aber die
Briefe nicht gab, weil man fürchtete, dass mich eine Nachricht von zu Hause in
die tieferen Strudel der Krankheit zurückwerfen könnte. Und ich wusste, dass
ich auch selbst nichts anderes wollte, als krank zu sein.
    Deshalb erkundigte ich mich nur höflich, was mit der Oberin und
Veneranda geschehen sei. Als wüsste ich, dass all das nur Ausflüchte und
Vorwände waren, die peinliche, stammelnde Selbsttäuschung der Ärzte und eines
hoffnungslosen Kranken. Der Professor wusste das auch und sprach rasch, als
wollte er die Aufmerksamkeit von einer wichtigeren Frage ablenken.
    Â»Sie hat sich großartig verhalten. Ein phantastisches Wesen. Sie hat
sich natürlich verhalten, weil sie wusste, dass in Venerandas Leiden
pädagogische Möglichkeiten steckten, man durfte sie weder erschrecken noch
bestrafen. Sie vertraute diese peinliche Angelegenheit Gott und der
menschlichen Natur an. Und Gott und die menschliche Natur halfen schließlich
tatsächlich, in diesem Fall wie immer. Wie beinahe immer«, sagte er sorgsam
gewissenhaft und verschluckte dabei das Wort. Er lächelte unbeholfen. Dann
sagte er ernst, beinahe eifrig: »Sie haben außergewöhnliche Erziehungsmethoden.
Ein ausgezeichneter Orden, der Orden meiner Nonnen. Und immer gut gelaunt. Sie
tratschen gern, sind nicht eingebildet, naschhaft sind sie auch, sie lieben
Orangen und Gebäck. Geld brauchen sie nicht.«
    Â»Vielleicht doch«, sagte ich.
    Aber er fiel mir ins Wort: »Nein, nein! Sie sind außerdem Gast hier
bei uns, Maestro. Gast des italienischen Staates. Davon kann keine Rede sein!«
Mit einer heftigen italienischen Bewegung hob er die Hände, als protestierte er
gegen eine unsinnige Annahme. »Sie sind unser Gast, unser aller Gast«,
stammelte er nervös.
    Â»Auch ein Gast kann den Gastgebern ein Geschenk bringen«, sagte ich,
weil mich dieser Protest amüsierte. »Und wenn die Schwestern Süßigkeiten und
Naschereien mögen … Hier in Florenz gibt es ausgezeichnete Konditoreien. So
erinnere ich mich. Zum Beispiel das Giacosa. Darf ich
Sie bitten, Herr Professor, mein Anliegen im Büro zu dolmetschen?«
    Â»Aber bitte, Maestro«, sagte er ernsthaft und stand auf, als wäre
diese Bitte eine vorrangige Sache, deren Erledigung er sogleich gewissenhaft
übernehmen würde.
    Â»Cherubina ist schön«, sagte ich beiläufig.
    Von der Schwelle aus sah er zurück und wandte sich um. Dann eilte er
so flink und gut gelaunt an mein Bett, als hörte er endlich eine gute Nachricht
in dieser traurigen Welt. Er blieb stehen und beugte sich zu mir.
    Â»Gefällt sie Ihnen?«, fragte er. Hinter den Brillengläsern
leuchteten seine blauen Augen in scherzhaftem Interesse.
    Â»Ob sie mir gefällt?« Ich überlegte. »Ich weiß es nicht. Derzeit
gefällt mir nichts und niemand. Ich habe es nur so gesagt, weil sie wirklich
schön ist.«
    Â»Sehr schön«, sagte der Professor eifrig zustimmend. »Und schade,
dass sie Ihnen nicht gefällt. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kenne die
Moral der Schwestern. Cherubina ist nicht heilig, weil sie eine Frau ist, aber
es ist nicht unmöglich, dass sie eines Tages selig oder sogar heilig wird. In
ihr steckt eine stille Kraft. Eine weibliche Kraft, ja. Aber diese Kraft
reinigt sich manchmal wunderbar in diesen Geschöpfen. Und sehen Sie, wenn
Cherubina Ihnen gefiele, würden Sie vielleicht schneller gesund. Jetzt lachen
Sie. Und halten mich für einen alten italienischen Kuppler, nicht wahr? Der
einem Krankem im Interesse der Heilung unschickliche Angebote macht. Fürchten
Sie sich nicht vor starken Worten. Denken Sie an nichts Schlechtes. Ich kenne
Cherubina und glaube, inzwischen auch Sie zu kennen, Maestro … Ihre Heilung
macht großartige Fortschritte … Sie sind ein erstklassiger Patient.« Er sprach
hastig. »Nur ein bisschen missgelaunt. Manchmal dachte ich schon, dass man das
Leben vielleicht etwas näher an Sie heranlassen müsste. Natürlich kann ich Sie
nicht auffordern, Cherubina oder

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