Die Schwester
ein wenig
vor ihr im Bett, wie vor einer strengen Erzieherin, die wusste, dass ihr
Zögling etwas angestellt hatte. Matutina war feierlich. Eine wirkliche
Priesterin, ein wenig beschränkt, aber immer zeremoniell. In ihren Bewegungen
lebte der sanfte Schwung liturgischer Handlungen. Sie war klein und dick, hatte
sehr weiÃe, weiche, teigige Hände, aber diese aus einem breiigen weiÃen
Material gekneteten Hände streckte sie dem Kranken so feierlich entgegen wie
ein Priester, wenn er das Mahl des Herrn verteilt. Matutina war eine wirkliche
Nonne, im priesterlichen Sinn des Wortes hatte sie sich verpflichtet. Das
schwarz-weiÃe Ordenskleid blieb für sie ein Symbol der Erhabenheit und des
Auserwähltseins. Wenn sie den Kranken gerade nichts reichte, faltete sie die
Hände über der Brust, als wollte sie rasch beten. Sie lächelte selten, und auch
dann so schmerzlich, als fielen ihr die fünf Wunden Christi und alle
Schlechtigkeit der Welt ein. Cherubina war schön. Weiblich, körperlich war sie
schön. In der Atmosphäre der Südtiroler Felsen und des weichen
Gebirgssonnenscheins war diese Schönheit hochgewachsen und gereift, und sie
trug sie stolz und selbstbewusst, als würde sie Gott ständig das Geschenk der
Schönheit darbieten. In Gesicht und Kopfhaltung ähnelte sie etwas den holzgeschnitzten
Tiroler Bauernmadonnen in ihrer kantigen, einfachen und frommen Milde und
dennoch anrührenden Schönheit. Manchmal glitt eine Strähne ihres
kastanienbraunen Haares unter der Haube hervor, und dieses Haar war weich und
von warmem Glanz wie das Haar von Müttern und guten Frauen, die der Welt mit
ihrem Wesen das groÃe Geschenk der Fruchtbarkeit und tätigen Güte machen.
Cherubina war dazu geboren, in einem Dorf in Südtirol, in einem der groÃen
Bauernhäuser mit flachem Dach, in der milden Luft winddurchwehter Lichtungen
Mutter und Ehefrau zu sein, sanft mächtige Herrin einer kleinen Welt. Die Kraft
der Fruchtbarkeit wohnte in ihrem geschmeidigen Körper, aber dieser Körper
blieb unfruchtbar, und sie verschwendete all die sanfte Kraft, die ihrem Wesen
entströmte, für quengelige Kranke, statt sie ihren Kindern zu geben. Sie war
Ordensfrau in einem sehr alten Sinn des Wortes. Das Gelübde, mit dem sie sich
Gott und dem Dienst an den Menschen versprochen hatte, musste für sie noch ein
vollwertiger Kontrakt sein, wie zu Anbeginn der Zeiten, als das Wort, das Gott
und die Menschen verband, weltgestaltende Kraft hatte. Von alledem wusste
Cherubina natürlich nichts. Ihr Leben hatte nur einen einzigen Sinn behalten:
den Dienst. Sie diente Gott und zugleich den Menschen, wenn sie Bettpfannen hob
oder vor dem Altar der Hauskapelle niederkniete. Und weil sie schön war und
jung â später erfuhr ich, dass sie zu jener Zeit noch nicht einmal dreiÃig
Jahre zählte â, dämmerte in ihrem Lächeln, wenn sie früh am Morgen oder spät in
der Nacht an meinem Bett erschien, etwas wie eine Bitte um Verzeihung. Sie
wusste, dass sie schön war, wusste, dass alle Tracht und jedes Gelübde
vergeblich waren. Sie war jung und eine Frau, die Sehnsüchte weckte, wirre und
unreine Sehnsüchte, die Erinnerungen auslöste wie im Decamerone , wie in der Renaissance, die im Bewusstsein der Menschen die
Vorstellung von der schönen Nonne hervorrief. Und sie lächelte wie jemand, der
auch dies als Opfer empfand. Sie war schön und eine Frau, also musste sie auch
dies den Menschen geben, aber sie war eine Nonne, also konnte sie nicht mehr
geben als ein Lächeln, in dem die Vergebungsbitte schöner Frauen aufschien, als
wollte sie sagen: »Verzeih mir, dass ich nicht mehr für dich tun kann.«
Cherubina war weder scheinheilig noch falsch verschämt. Sie konnte
über die vertrackten Beziehungen zwischen Männern und Frauen herzhaft lachen,
und der Unterarzt machte in ihrer Gegenwart manchmal derbe und
unmissverständliche Scherze. Dann zeigte sie ihre schönen Zähne und lachte
strahlend mit offenem Blick, als wüsste sie alles über das Leben und also auch,
auf welch hoffnungsloser Glut Frauen und Männer braten, als kennte sie alle
Geheimnisse des fehlbaren und vergänglichen Fleisches. Eines Morgens, als
Cherubina gerade den Professor in mein Zimmer begleitete, fragte ich: »Gibt es
mit den Schwestern nie Probleme, Herr Professor?«
Beide verstanden mich. Der Professor lächelte und
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