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Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandor Marai
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meinem
Traum hören und sie mit dieser Tagesstimme vergleichen, aber ich spürte
keinerlei Ähnlichkeit. Cherubinas Stimme war ruhig wie immer, freundlich und
gleichmütig. Einen Augenblick lang kam in mir das Gefühl auf: Sie ist schön,
jung und eine Frau, also Schauspielerin – eine hervorragende Schauspielerin! –,
aber wir sahen einander nicht in die Augen. Cherubina rieb mit dem dicken Tuch
meinen nassen Körper trocken, zog mir den Pyjama an und half mir in die
Pantoffeln. Jetzt bereitete sie das Mundwasser vor.
    Â»Ich hatte eine eigenartige Nacht«, sagte ich plötzlich, als griffe
ich sie an. »Dank Ihnen.«
    Â»Mir?« Sie war gerade dabei, das Badetuch an den Haken zu hängen,
und sah mich an, das Tuch in der Hand, und ihr schönes, sanftes Gesicht
lächelte mit klarem Glanz. »Sie irren, Maestro. Ich hatte heute Nacht keinen
Dienst.«
    Ruhig machte sie sich zu schaffen, als spräche sie über
unwesentliche Dinge. Sie log, spürte ich, und sie konnte auch gar nichts
anderes tun. Eine sonderbare Hitze fuhr mir durch den Leib, wie wenn ein
Blutstrom mit heißer Leidenschaft in ein taubes, regloses Glied fährt.
    Â»Wer hatte letzte Nacht Dienst?«, fragte ich und bemühte mich,
ebenfalls beiläufig und gleichmütig zu sprechen.
    Nachlässig sagte sie: »Das weiß ich gar nicht. Vielleicht Dolorissa.
Oder Matutina?«, sie legte den Kopf zurück, grübelte und zählte. »Heute ist
Dienstag. Wenn es Sie interessiert, Maestro, frage ich gleich nach. Charissima
wohl kaum, denn sie ist krank, sie ist sehr krank«, flüsterte sie, besorgt,
vertraulich. »Sie hat Tage, an denen sie sich hinlegen muss. Aber sie erträgt
es stumm, für Christus«, sagte sie mechanisch. »Es kann jedoch sein, dass sie
es trotzdem war. Ich werde nachfragen. Bitte, Maestro«, sie wies auf das
Mundwasser, dass es fertig sei, und auch alles andere, was ich zur
morgendlichen Reinigung noch benötigte, bereitstand.
    Â»Ãœberflüssig«, sagte ich und stand mit großer Anstrengung auf.
»Fragen Sie nichts.«
    Â»Warum?« Sie beugte sich über mich, mit kindlicher, tratschsüchtiger
Vertraulichkeit. Alle Schwestern liebten in ihrer kleinen Welt auf fromme Weise
den Tratsch. »War irgendetwas nicht in Ordnung? Sollen wir dem Herrn Professor
Bescheid sagen?«
    Â»Ach, iwo«, sagte ich und begann mich zu kämmen. »Ich hatte eine
ausgezeichnete Nacht. Sagen Sie niemandem Bescheid und fragen Sie nichts.«
    Â»Bitte«, sagte sie gleichmütig und gehorsam.
    Sie lügt großartig, dachte ich.
    Am Nachmittag rief der Professor eine Art ärztliche Notberatung
in meinem Zimmer zusammen: den Unterarzt, noch einen Internisten und den Leiter
der Nervenstation des Krankenhauses. Eigentlich untersuchten sie mich nicht
einmal, sie standen nur wortlos vor meinem Bett und sahen mich an. Dann gingen
sie, der Unterarzt kam mit der geschickten Dolorissa zurück und gab mir eine
belebende Spritze, ich glaube, Koffein . An ihrer
Stummheit und ihrem Ernst war zu spüren, dass sie sich Sorgen machten. Ich weiß
nicht, was sie beschlossen, aber von diesem Augenblick an ließen sie mich nicht
mehr allein im Zimmer. Tag und Nacht wachte eine der Schwestern an meinem Bett;
alle fünf oder sechs Stunden wechselten sie sich ab. Jede Stunde, manchmal auch
öfter, maßen mir die Schwestern und Ärzte den Puls; der Professor kam manchmal
sogar nachts in mein Zimmer, nahm mein Handgelenk und prüfte wortlos.
    Etwas anderes hatte jetzt begonnen, ohne Übergang, ja, ohne
»Krankheit«, das heißt ohne laute Symptome: das Ende. Und in der friedlichen
Stille, in der sanften und schmerzlosen Reglosigkeit, in die sich der
stürmische Zustand der Krankheit verwandelt hatte, spürte ich nur, dass ich
nichts mehr brauchte, dass die Spritzen genauso überflüssig waren wie die
Medikamente. Eine melodische Stille war dies, wie ein großes Andante in der Musik, in dem sich die Spannung der
vorhergehenden Sätze auflöst. Ich hörte die Stille, diese sonderbar taube
Musik, diese sehr tiefe und ernste Harmonie, in der alles, was in meinem Leben
bisher geschehen war, einen Sinn bekam. Und ich wusste ebenso wie die Ärzte und
die Schwestern, dass es jetzt nicht mehr um »Krankheit« oder »Gesundheit« ging,
dass Arznei und Behandlungen vollkommen überflüssig waren, weil die Stille da
war und ich

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