Die Schwestern des Lichts - 3
Nennt ihn beim Namen und zeigt ihm, daß Ihr ihn mögt. Was Ihr sagt, ist ganz egal, aber achtet darauf, daß es klingt, als wäre er Euch wichtig. Verstellt Euch, wenn es nicht anders geht, behandelt ihn wie einen von Euren kleinen Knaben.«
Sie warf ihm einen wütenden Blick über die Schulter zu, dann machte sie sich wieder daran, die Zügel einzuhaken. Sie fing an zu sprechen, leise, damit Richard sie nicht hören konnte, aber er merkte, daß es liebevoll klang. Als sie fertig war, gab er ihr ein Stück Melonenrinde.
»Pferde sind verrückt danach. Gebt ihm ein Stück, sagt ihm, was für ein guter Junge er ist. Er soll ein anderes Gefühl für das Anlegen der Zügel bekommen. Zeigt ihm, daß jetzt etwas Angenehmes kommt – und nicht die Kandare, die er haßt.«
»Etwas Angenehmes«, wiederholte sie tonlos.
»Sicher. Ihr braucht ihm nicht zu zeigen, wie sehr Ihr ihm weh tun könnt, damit er tut, was Ihr wollt. Damit erreicht man nur das Gegenteil. Seid einfach entschlossen, aber sanft. Der Gedanke ist der, ihn mit Freundlichkeit und Verständnis zu gewinnen, selbst wenn das nicht ganz aufrichtig ist, und nicht nur Gewalt.«
Richards Lächeln verschwand, und er verzog das Gesicht zu einem wütenden Blick. Er beugte sich näher über sie, während sie dastand und zu ihm hinaufsah. »Das solltet Ihr eigentlich können, Schwester Verna – Ihr scheint recht gut darin zu sein. Behandelt ihn einfach so, wie Ihr mich behandelt.«
Ihr verblüffter Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Ich habe bei meinem Leben geschworen, dich in den Palast der Propheten zu bringen. Wenn du dort ankommst, fürchte ich, wird man mich dafür hängen, daß ich meine Pflicht getan habe.«
Damit drehte sie sich um und gab dem begeisterten Pferd seine Melonenrinde, streichelte ihm den Hals und munterte es mit einem mütterlichen Klaps auf. »So ein guter Junge. Guter Junge. Magst du das, Jessup? Guter Junge.«
Ihre Stimme troff von Mitgefühl und Zärtlichkeit. Dem Pferd gefiel’s. Richard wußte, daß es nicht aufrichtig war. Er mißtraute ihr und wollte, daß sie das wußte. Er mochte es nicht, wenn Menschen glaubten, sie könnten ihn leicht täuschen. Er fragte sich, ob ihre Haltung ihm gegenüber sich jetzt ändern würde, nachdem er ihr gezeigt hatte, daß er ihre Schauspielerei nicht einfach hinnahm.
Kahlan hatte ihm erklärt, Schwester Verna sei eine Magierin. Er hatte keine Ahnung, zu was sie fähig war, doch das Netz, das sie im Haus der Seelen über ihn geworfen hatte, das hatte er gespürt. Er hatte gesehen, wie sie das Feuer nur durch Gedankenkraft entzündet hatte. Sie hätte mit Leichtigkeit am Abend zuvor selbst ein Feuer anzünden können – ohne es von ihm zu verlangen. Er hatte den starken Verdacht, daß sie ihn mit ihrem Han in Stücke brechen konnte, wenn ihr danach war.
Sie versuchte nur, ihn auszubilden – ihn daran zu gewöhnen, ohne nachzudenken, das zu tun, was sie sagte. Wie man ein Pferd abrichtete. Oder ein ›wildes Tier‹, wie sie sich ausgedrückt hatte. Er bezweifelte, daß sie mehr Achtung von ihm hatte als vor ihren Pferden.
Doch statt der Breitkandare hatte sie den Rada’Han um seinen Hals, mit dem sie ihn kontrollieren konnte – und das war wesentlich schlimmer. Aber er würde ihn wieder loswerden, wenn die Zeit gekommen war. Selbst wenn Kahlan ihn nicht mehr wollte und ihn fortgeschickt hatte, er würde dieses Ding loswerden.
Während Schwester Verna damit beschäftigt war, sich mit Jessup anzufreunden, machte Richard sich daran, die Pferde zu satteln. »Wie weit ist es bis zum Palast der Propheten?«
»Es ist ein langer Ritt nach Südosten. Ein langer und schwieriger Ritt.«
»Nun, dann werdet Ihr reichlich Zeit haben, zu lernen, wie man Jessup ohne Kandare führt. Es wird Euch gar nicht so schwer fallen, wie Ihr denkt. Er wird sich Bonnie unterordnen und ihr folgen. Bonnie ist das Leittier.«
»Das Männchen ist immer das Leittier.«
Richard legte Bonnie den Sattel auf. »Eine Stute steht immer ganz oben in der Hierarchie. Die Muttertiere unterrichten und beschützen die Fohlen – ihr Einfluß währt ein ganzes Leben. Eine Stute kann jeden unwillkommenen Hengst verscheuchen. Ein Hengst vertreibt vielleicht ein Raubtier von der Herde, eine Stute dagegen wird es jagen und zu töten versuchen. Ein männliches Tier wird sich immer der Leitstute unterwerfen. Bonnie ist die Leitstute. Jessup und Geraldine werden ihr folgen und ihr alles nachmachen, daher werde ich die Führung übernehmen.
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