Die Schwestern des Lichts - 3
in die Grube.
Während des Sturzes war sie überzeugt, auf dem Steinfußboden aufzuschlagen und dabei getötet zu werden. Mit einem letzten Seufzer ergab sie sich in ihr Schicksal, während ihre ruhmreiche Vergangenheit in einer sinnlosen Bildfolge vor ihrem inneren Auge vorüberwirbelte. Lief alles darauf hinaus? War alles umsonst gewesen? Daß ihr Schädel wie ein Ei zerplatzte, das von einem Tisch zu Boden rollt?
Doch Hände fingen sie auf. Überall auf ihrem Körper waren Hände, unerwartet und an den intimsten Stellen. Sie öffnete die Augen und sah, wie das Licht in der Türöffnung mit einem lauten, widerhallenden Knall erlosch.
Gesichter umgaben sie auf allen Seiten in dem gespenstischen, flackernden Schein der Fackeln. Häßliche, schwitzende, boshafte Gesichter. Blicke aus gerissenen, schwarzen Augen wanderten über ihren Körper. Aus gierigen, freudlos grinsenden Mäulern blinkten ihr krumme, spitze Zähne entgegen. Viele Zähne. Es schnürte ihr die Kehle zu, ließ ihr den Atem stocken. Ihr Verstand, durchzuckt von verwirrenden, sinnlosen Bildern, versagte ihr den Dienst.
Sie wurde zu Boden gedrückt. Der Stein preßte sich kalt und schmerzhaft in ihren Rücken. Grunzlaute und leises Stöhnen erhoben sich von allen Seiten. Ein dichtes Knäuel Männer drängte sich über ihr. Trotz heftigen Widerstands wurden ihre Glieder nach Belieben hin und her gezerrt.
Zupackende, krallenartige Hände zerrissen ihr feines Kleid und vergriffen sich brutal an ihrem plötzlich schockierend bloßen Fleisch.
Und dann tat Cyrilla etwas, das sie nicht mehr getan hatte, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war.
Sie schrie.
27. Kapitel
Von Daumen und Zeigefinger abgesehen, mit denen sie den glatten, runden Knochen an ihrem Halsband spielerisch drehte, stand Kahlan reglos da und betrachtete die ausgedehnte Stadt. Die zerklüfteten Hänge ringsum schienen die Gebäude sanft einzubetten, die das leicht gewellte Tal der Länge und Breite nach fast völlig füllten. Steile Schieferdächer ragten aus dem Gelände innerhalb des langgestreckten Mauerbandes heraus, überragt noch von den höheren Giebeln des Palastes hinten am nördlichen Ende, und doch stieg kein einziges Rauchwölkchen kräuselnd aus den Hunderten von Steinkaminen in die klare Luft. Sie sah keinerlei Bewegung. Die pfeilgerade Südstraße, die zum Haupttor führte, die kleineren, sich windenden Straßen, die von ihr abzweigten, um vor den weniger wichtigen Toren zu enden, sowie jene, die an den Außenmauern vorbeiliefen und allesamt nach Norden führten, waren menschenleer.
Die hügelige Bergwiese vor ihr lag unter einer Schneedecke begraben. Eine leichte Brise befreite den tiefhängenden Ast einer nahen Fichte von seiner weißen Last, die in einer funkelnden Wolke davon wirbelte. Dieselbe Brise fuhr kräuselnd in den weißen Wolfspelz ihres dicken Umhangs, der sich an ihre Wange schmiegte, was sie jedoch kaum bemerkte.
Prindin und Tossidin hatten den Umhang für sie gemacht, um sie auf ihrem Weg nach Nordosten während der Winterstürme, die über das trostlose Land hinwegfegten, warm zu halten. Wölfe hatten Angst vor Menschen und ließen sich nur selten blicken, daher wußte sie nur wenig über ihre Gewohnheiten. Die Pfeile der Brüder hatten ihr Ziel gefunden, wo sie noch nicht einmal etwas gesehen hatte. Hätte sie nicht Richard schießen sehen, sie hätte die Schüsse für unmöglich gehalten. Die Brüder waren fast so gut wie er.
Sie hatte zwar immer schon eine vage Abneigung gegen Wölfe gehegt, war aber noch nie tatsächlich von ihnen angefallen worden. Seit Richard ihr vom Zusammenhalt in den Rudeln erzählt hatte, empfand sie eine gewisse Zuneigung für diese Tiere. Sie hatte nicht gewollt, daß die beiden Brüder Wölfe töteten, um ihr einen warmen Umhang zu machen, doch sie beharrten darauf, und am Ende hatte sie zugestimmt.
Beim Häuten der toten Tiere war ihr schlecht geworden, als das rote Muskelfleisch, das Weiß von Knochen und Sehnen zum Vorschein gekommen waren, jenes Material des Seins, das so elegant wirkte, wenn es angefüllt von Leben und beseelt war, und das plötzlich so gräßlich wirkte, wenn der Tod eingetreten war.
Während die beiden Brüder sich an ihr schauriges Werk machten, mußte sie an Brophy denken, an jenen Mann, den sie mit ihrer Kraft berührt hatte, nur um damit seine Unschuld zu beweisen. Ihr Zauberer, Giller, hatte ihn in einen Wolf verwandelt, um ihn von der Kraft der Magie eines Konfessors zu befreien und
Weitere Kostenlose Bücher