Die Schwestern des Lichts - 3
jedes Verlangen unterdrücken, das dich, sei es aus Angst oder Sehnsucht, zu etwas verleiten will. Hast du verstanden?«
Schließlich nickte Richard. Schwester Verna richtete den Blick wieder auf die schimmernden Formen. Sie saß reglos da und beobachtete. In der Ferne, hinter dem flirrenden Licht, glaubte er Gewitterwolken zu erkennen, die dunkel und unheilverkündend über den Horizont herangeweht wurden. Ihren Donner fühlte er mehr, als daß er ihn hörte. Irgendwie wußte er, daß es keine Wolken waren, sondern Magie. Als Bonnie den Kopf zur Seite warf, gab er ihr einen beruhigenden Klaps auf den Hals.
Nachdem er eine Weile zugeschaut hatte, sah er zur Schwester hinüber. Sie saß still und voller Anspannung da.
»Worauf wartet Ihr, Schwester? Auf den Mut?«
Sie antwortete, ohne sich zu bewegen. »Genau. Ich warte auf den Mut, mein Kind.«
Diesmal ärgerte es ihn nicht, daß sie ihn ›Kind‹ nannte, eher schien es die passende Bezeichnung seiner Fähigkeiten zu sein.
Ganz leise und immer noch, ohne den Blick von dem sonnenverbrannten Inferno vor ihnen zu lösen, fuhr sie fort: »Du hast noch in Windeln gelegen, als ich die Linie durchquerte, und doch erinnere ich mich an jede Einzelheit, als wäre es gestern gewesen. Ja, ich warte auf den Mut.«
Er drückte Bonnie mit den Schenkeln, drängte sie nach vorn. »Je eher wir aufbrechen, desto schneller sind wir hindurch.«
»Oder verloren.« Sie führte ihr Pferd hinter ihm her. »Bist du versessen darauf verlorenzugehen, Richard?«
»Ich bin bereits verloren, Schwester.«
29. Kapitel
Sie sahen sich Stufen gegenüber, zwanzig Schritte breit, die sich nur am äußersten rechten Rand als das zu erkennen gaben, was sie waren, dort, wo der Wind wie durch einen Trichter gleich neben dem geschwungenen Geländer aus rosa Marmor hinabgeweht war und sie von Schnee freigehalten hatte. Kahlan zögerte nur einen kurzen Augenblick, nachdem sie erkannt hatte, daß sie ihr Ziel erreicht hatten, dann stemmte sie ihre Schneeschuhe fest in die Schneewehe, die die Stufen unter sich begrub, und stieg hinauf zum Portal, dessen Gesims eine Reihe von Statuen schmückte, deren aus Stein gehauene Kleidung so echt wirkte, daß es schien, als würde sie sich in der sachten Brise bewegen. Zehn weiße Säulen auf jeder Seite stützten das massige Gebälk in schwindelerregender Höhe über dem Bogenportal. In verzweifeltem Kampf gefallene Leichen lagen übereinander geschichtet überall auf dem schneebedeckten Rasen oder lehnten wie in Ruhestellung an den Mauern der mit einer Kuppel gekrönten äußeren Eingangshalle.
Die reich verzierten Türen, auf denen kunstvoll geschnitzte königliche Wappenschilde des Hauses derer von Amnell, hochgehalten von zwei Berglöwen, zu sehen waren, lagen zerschlagen auf dem Boden der Vorhalle. Neben dem verschnörkelten Steinbogen am anderen Ende standen lebensgroße Statuen von Königin Bernadine und König Wyborn, jeweils mit Speer und Schild in einer Hand, die Königin eine Garbe Weizen in der anderen haltend, der König ein Lamm. Die Brüste der Königin waren abgebrochen worden; Steinsplitter und Staub bedeckten die rostfarbenen Marmorfliesen. Beiden Statuen fehlte der Kopf.
Mit tauben Fingern löste Kahlan die Bindungen ihrer Schneeschuhe und lehnte sie an die Statue der Königin. Chandalen folgte ihrem Beispiel, bevor er ihr in die mit zerbrochenen Spiegeln und zerrissenen Wandbehängen gesäumte Eingangshalle folgte. Kahlan zog ihren Umhang fest um sich. Ihr Atem stieg als träge Wolke in der fast völlig stillen Luft auf, und aus irgendwelchen Gründen war es hier viel kälter als draußen.
»Wozu dient dieser Ort?« fragte Chandalen im Flüsterton, als hätte er Angst, die Seelen der Toten zu wecken.
Sie mußte sich zusammennehmen, um nicht ebenfalls zu flüstern. »Dies ist das Zuhause der Königin dieses Landes. Cyrilla heißt sie.«
Seine vom Zweifel angefüllte Stimme hallte durch die steinerne Halle. »Ein einziger Mensch lebt in einem Haus wie diesem?«
»Hier leben viele Menschen. Es gibt Berater, ganz ähnlich den Ältesten aus deinem Volk, und andere, deren Aufgabe es ist, sich um die Bedürfnisse des Landes zu kümmern, und wieder andere, die sich um deren Bedürfnisse kümmern, damit sie ihre Arbeit tun können. Viele Menschen bezeichnen dies als ihr Zuhause, doch die Königin ist der Haushaltsvorstand, so wie sie auch ihrem ganzen Land vorsteht. Sie steht über allen anderen.«
Chandalen folgte ihr schweigend, während sie
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