Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Er hatte diese Vorliebe nicht wie andere Jungen nur für einen Sommer oder langen Winter gepflegt, um sich dann einer anderen zuzuwenden, sondern Jahr um Jahr um Jahr. Aus ihm wurde nie ein erfolgreicher Kaufmann. Außerdem, so hatte sein Vater den so erfreuten wie erstaunten Damen des Hauses erklärt, sei die Zeit im Wandel begriffen. Es könne von Vorteil sein, einen Gelehrten in der Familie zu haben. Weil es ihm gefiel, als großzügiger und neuzeitlich denkender Vater zu gelten, fügte er nicht hinzu, dass das Beispiel der Fechters ausreiche. Der alte Patriarch hatte seine beiden Söhne in sein Kontor gezwungen, obwohl jeder wusste, dass der Ältere nichts wollte als zur See fahren. Die Fechters waren nun bankrott.
    Als Molly mit dem Dessert erschien, seufzte Augusta ergeben. Schon lange bevor die noch junge Tochter eines vor gut zwei Jahren verstorbenen Konditormeisters vorübergehend das Regiment in der Herrmanns’schen Küche übernahm, hatten alle im Haus ihr über die Maßen köstliches Konfekt zu schätzen gewusst. Wie ihre Konfitüren wurde es im Laden ihrer Familie verkauft. Zumindest Augusta war gespannt, wie sich deren Geschäfte entwickeln würden, falls Molly nicht zurückkehrte.
    Niklas’ Augen leuchteten bei Mollys Eintreten auf. Ob wegen des Tabletts mit kleinen Kuchen und süßen Cremes oder ihres runden Mädchengesichtes mit den stets ein wenig erstaunt wirkenden himmelblauen Augen, den lichtbraunen, nun leider fest nach hinten gebundenen Löckchen, war schwer zu entscheiden. Auch Claes Herrmanns fand ihren Anblick recht erfreulich, nach der zähen Zunge war er jedoch noch hungrig genug, um vor allem dem Dessert hoffnungsfroh entgegenzusehen, gleichwohl blickte er irritiert. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass Molly zumindest die süßen Speisen stets selbst servierte, obwohl das in diesem Haus nicht zu den Aufgaben der Köchin zählte. Als Augusta sie freundlich darauf hinwies, hatte sie die Unterlippe ein ganz klein wenig vorgeschoben, ebenso dezent die Stirn gerunzelt, höflich genickt – und ihre Desserts weiterhin serviert.
    Molly war einundzwanzig Jahre alt, sie wirkte bei aller Pummeligkeit, bei aller unermüdlichen Energie, die sie in der Küche bewies, wie eine zarte Seele. Sicher war sie das, ihre andere Seite jedoch zeichnete sich durch Zähigkeit und ein für ihre jungen Jahre und den unsicheren Platz im Leben beachtliches Selbstbewusstsein aus. Sie hatte ein schweres Jahr erlebt, bei genauerer Betrachtung sogar zwei, was außer Elsbeth und Madam Augusta niemand im Haus wusste oder je erfahren würde. Aber weder war sie zur Dienstbotin erzogen worden, noch war sie bereit, sich so zu gebärden, obwohl sie in diesen Monaten genau das war und vielleicht auch in Zukunft sein würde.
    Eines der beiden Hausmädchen schlüpfte hinter Molly ins Speisezimmer, räumte die Teller des vorigen Gangs auf ein großes Tablett und verschwand wie ein Schatten. So präsent Molly war, selbst wenn sie still wartete, bis ihr Einsatz erforderlich wurde, so unsichtbar war dieses Mädchen. Dabei trugen beide die gleiche Tracht. Obwohl sie schon ein gutes Vierteljahr im Haus lebte, entfiel Augusta sogar hin und wieder, wie sie hieß. Valerie. Ein hübscher Name, besonders für ein so farbloses Geschöpf.
    Molly füllte die Teller mit ihren Kuchen und Cremes und legte zu Letzteren jeweils ein paar Blättchen der Minze, die sie in Töpfen zog. Dann wünschte sie knicksend guten Appetit, zog eine kleine Papierrolle aus der Tasche ihrer makellos weißen Schürze und legte sie noch einmal knicksend, diesmal aus ehrlichem Respekt, neben Augustas Teller.
    «Den Brief hat ein Bote gebracht, Madam Kjellerup, erst vor einer Viertelstunde. Er hat gesagt, es sei eilig, aber ich wollte nicht beim Essen stören, das ist unbekömmlich. Er hat eine Gebühr verlangt, die hat der Schreiber aus dem Kontor bezahlt. Ich hoffe, alles war recht so.»
    «Danke, Molly», sagte Claes Herrmanns, als Augusta nur vage nickend den Brief in den Händen drehte. «Post wie zur Unzeit kommende Besucher immer erst nach dem Essen», fuhr der Hausherr in sanft belehrendem Ton fort, «aber wenn es eilig ist, war es so genau richtig, und unsere Leute im Kontor wissen am besten, was so ein Bote bekommt.»
    Er hätte gerne noch etwas zur Bekömmlichkeit von Essen gesagt, insbesondere, wenn das übrigens recht teure Fleisch zäh und zu salzig geriet, aber Molly lächelte ihn so strahlend an, dass er sie beinahe mit einem Lob für ihre

Weitere Kostenlose Bücher