Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
ohnedies eine fragwürdige Angelegenheit war.
Claes Herrmanns kümmerte der Klatsch nicht, es gab sogar Momente, in denen er das Gerede genoss. Sein Vertrauen in Anne und ihre Liebe war seit der amerikanischen Eskapade und ihr zum Glück nur beinahe tragisches Ende absolut, und er war stolz auf seine Frau. Zudem wurde es mit ihr niemals langweilig. In den Jahren ihrer Ehe hatte er, der durchaus zu hanseatischer, gelegentlich bis zur Ignoranz reichenden Behäbigkeit neigte, gelernt, dass die Meute sich stets über jene das Maul zerriss, die nicht dem Mittelmaß entsprachen. So konnte er das Geschwätz zum Kompliment umdeuten. Jedenfalls meistens.
In dieser Stunde vermisste er seine Frau weniger mit dem Gefühl von Sehnsucht als mit einer tüchtigen Prise Groll. Anne war nicht alleine gereist, natürlich nicht, sie hatte Betty mitgenommen, ihre Zofe, und Elsbeth. Betty war ihm egal, aber Elsbeth! Die wirkte in der Küche des Herrmanns’schen Haushaltes, fast seit Claes sich erinnern konnte. Vor langer Zeit war sie als Kostkind aus dem Waisenhaus zu den Herrmanns in den Neuen Wandrahm gekommen, um Dienst als Aschenmädchen zu tun. Die damalige Köchin hatte sich ihrer angenommen, sie war eine schroffe Person gewesen, aber das zarte Kind musste etwas in ihr berührt haben.
Das Aschenmädchen war im Laufe der Zeit zu einer handfesten Person und eine der besten Köchinnen in der Stadt geworden. Insbesondere nach festlichen Diners konnte es geschehen, dass Claes Herrmanns sich versucht fühlte, dem Himmel zu danken, weil sie nie geheiratet und auch anderen Abwerbeversuchen widerstanden hatte. Letztlich lag die Organisation des ganzen großen Haushaltes in Elsbeths Händen, wie sich nun endgültig zeigte. Ungeputzte Fenster, sogar schlecht gebügelte Mundtücher konnte er leicht übersehen, aber was da auf seinem Teller lag – so etwas war er nicht gewöhnt.
Missmutig schob er das Stück gepökelte Rinderzunge an den Tellerrand, es war zäh und viel zu salzig, und tunkte einen Brocken Weißbrot in die Hagebuttensoße. Das Brot immerhin war gelungen, dafür war die Soße, von der er sich reichlich hatte auftun lassen, weil sie zu seinen Favoriten zählte, zu fettig und zu süß. Gut möglich, dass in der Küche die Zitronen ausgegangen waren. Elsbeth wäre so etwas natürlich nie passiert, und hätte sie keine Zitronen gehabt, hätte sie sich eine andere Soße einfallen lassen.
«Ja, mein Lieber», sagte Madam Kjellerup, die allgemein und je nach Grad der Vertrautheit Tante oder Madam Augusta genannt wurde. «So ist es ohne Elsbeth. Wenn sie zurückkommt, solltest du umgehend ihren Lohn erhöhen, sonst kommt sie uns eines Tages womöglich noch ganz abhanden. WENN sie zurückkommt. Womöglich findet sich ein englischer Gourmet, der sie heiratet, und dann sind wir sie los.»
«Heiratet?! Sie muss fast fünfzig sein. Da heiratet man doch nicht mehr.»
«Ach ja? Und Eschbach? Der dicke Syndikus ist fast sechzig, hat noch fünf Zähne, nun gut, es mögen sieben sein, wer mag da schon genau nachschauen, kein eigenes Haar mehr auf dem Kopf und hält seine dritte Hochzeit in diesem Mai. Die Braut ist keine dreißig. Das arme Kind!»
«Eben», murmelte Claes Herrmanns und war klug genug, nicht hinzuzufügen, dass seine Bemerkung einzig das noch gebärfähige Alter der Braut kommentiert hatte. Schließlich hatten Eschbachs Ehefrauen Nummer eins und zwei ihm nur Töchter geboren, die zudem wenig ansehnlich waren.
Augusta war eine betagte Witwe mit einer Vorliebe für so teure wie elegante Schuhe und glänzende Bänder auf ihrer Witwentracht, die sie durch Seidenblüten in heiteren Farben und mutigen Kreationen ergänzte, besonders, nachdem Rosina Vinstedt ihr diese fabelhafte Seidenblumen- und Fächermanufaktur am Hafen empfohlen hatte. Sie war bekannt für ihre unerbittlich gute Laune, ihren wachen Geist und ihr untrügliches Urteil. Heute war offenbar einer der seltenen Tage, an denen sie leicht reizbar und ihre Zunge gespitzt war. Sicher drückte die schwere Küche ihre Galle.
Wenigstens die Fischpastete war halbwegs schmackhaft gewesen, ein wenig heftig gewürzt, auch mit Zimt, was nicht wirklich das Richtige war, aber in den letzten Wochen waren alle im Haus in ihren Ansprüchen an die Mahlzeiten bescheidener geworden. Gleichwohl wurde wenig gemurrt. Elsbeths Vertreterin musste als Köchin für Fleisch- und Fischgerichte, für salzige Pasteten, Soßen und derlei als Anfängerin mit bescheidenen Talenten gelten, in
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