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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Gedanke war unbehaglich, bei Vorherbestimmung dachte er gewöhnlich an Zukunft und Beginn, nicht an das Ende.
    Eigentlich konnte er den Rückweg sofort antreten. Leider schwammen die Flöße nicht stromauf. Vielleicht kaufte er sich ein Pferd, obwohl er sich auf den nassen Stämmen sicherer fühlte als im Sattel. Ein wenig Zeit brauchte er hier noch, erst einer der beiden Aufträge, die mit seiner letzten großen Floßfahrt verbunden waren, war erfüllt. Für den zweiten musste er sich nun anstrengen und beeilen, und, wenn es nötig war, die richtige Hilfe finden.

    Montagmittag, nach der Börsenzeit
    Das Mittagessen im eleganten Speisezimmer des Hauses Herrmanns am Neuen Wandrahm verlief heute still. Alle hingen ihren Gedanken nach, wobei in diesen Wochen «alle» leider nur drei Personen bedeutete. Dem Hausherrn gegenüber saß seine Tante Augusta Kjellerup, an der dem Fenster gegenüberliegenden Längsseite der jüngere Sohn des Hauses. Niklas war gewöhnlich still, für sein Alter von neunzehn Jahren sogar überaus still, sein Vater und seine Großtante hingegen zählten sonst zu den lebhaften Plauderern. Normalerweise saßen abgesehen von nicht zur Familie gehörenden, doch häufig geladenen Gästen mindestens zwei weitere Personen an diesem Tisch, nämlich Anne Herrmanns, die Dame des Hauses, und Christian, der ältere Sohn. Der war seit Oktober in London, in Geschäften und – wenn sein Vater richtig zwischen den Zeilen seiner Briefe las – neuerdings zudem auf Freiersfüßen. Claes Herrmanns wäre es lieber gewesen, sein Ältester hätte sich für eine der passenden Hamburger Töchter entschieden, andererseits war er froh, dass Christian sich überhaupt zu entscheiden schien. Bisher hatte er eine Neigung zu so unpassenden wie flüchtigen Liebschaften gezeigt und so die väterliche Sorge genährt, sein bald dreißigjähriger Sohn werde womöglich zum Hagestolz und versäume seine Pflicht, einen legitimen Erben für das Familienunternehmen zu zeugen. Christian wurde im Mai zurückerwartet, es war geplant, dass er den Umweg über die Insel Jersey mache, um seine Stiefmutter Anne abzuholen und nach Hause zu begleiten.
    Claes Herrmanns vermisste seine Ehefrau sehr. Das tat er schon seit dem Tag, an dem sie nach ihrer heimatlichen Insel Jersey abgereist war. Nun gut, vielleicht nicht vom ersten Tag an, aber doch bald danach. Sogar während der Arbeit in seinem Kontor konnte es geschehen, dass er plötzlich von seinen Listen, Rechnungsbüchern oder Briefen aufsah und dieses sanfte, gleichwohl schmerzliche Ziehen in der Brust spürte. Dann nahm er die Miniatur mit ihrem Porträt aus dem Ebenholzkästchen, das immer neben dem Tintenglas stand, und betrachtete sie einen Augenblick. Es kam vor, dass er leise seufzte, während er ihr Bild in den Kasten zurücklegte.
    Er vermisste seine Frau wirklich, heute wie an jedem dieser Tage. Auch in den Nächten, das gewiss. Anne war seine zweite Ehefrau, die sieben Jahre mit ihr waren nicht immer leicht gewesen, weiß Gott nicht – aber diese späte Liebe zwischen einem Witwer mit ergrauenden Schläfen und einer mehr in Handelsgeschäften als in Haushaltsfragen versierten Engländerin, die ebenfalls über das Heiratsalter hinaus gewesen war, diese so unerwartete wie auf den ersten Blick wenig aussichtsreiche Liebe hatte trotz einiger Turbulenzen Bestand gehabt. Das hatte manche in der Stadt überrascht – Claes Herrmanns hatte damals alles andere als heiratswillig gegolten –, aber natürlich war darüber nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen worden, inzwischen nur noch, wenn es einen die Phantasien beflügelnden Anlass gab. So wie jetzt, da Anne Herrmanns mitten im Winter, als die Elbe gerade noch eisfrei gewesen war, die Reise nach der Insel Jersey angetreten hatte.
    Bis zu ihrer für ihren einzigen Bruder ziemlich lästigen Heirat war sie die heimliche Herrin dessen Handelshauses gewesen, nun war er schwer erkrankt, so hieß es jedenfalls, und sie war an sein Krankenlager geeilt. Das klang nach inniger Geschwisterliebe und war verständlich, aber bei den Herrmanns wusste man nie. Es war noch gut in Erinnerung, wie Madam Anne nach den amerikanischen Kolonien gereist war – und zwar ohne ihren Ehemann vorher zu fragen –, bis er sie persönlich zurückgeholt hatte. Die Engländer waren exzentrisch und reiselustig, erst recht die Engländerinnen, trotzdem gehörte eine Ehefrau ins Haus und an die Seite ihres Gatten, selbst wenn sie über eigenes Geld verfügte, was

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