Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Sachen Desserts, Kuchen, Cremes und Konfekt jedoch als wahre Meisterin, und niemand, selbst die unübertreffliche Elsbeth nicht, verstand es, so delikate Schokolade zu kochen wie ihre junge Vertreterin.
«Vielleicht war es doch übereilt, nur auf Elsbeths Empfehlung zu hören», überlegte Claes Herrmanns laut.
«Nein.» Augusta tupfte sich die Lippen, legte das Mundtuch ordentlicher, als es sonst ihre Art war, neben den Teller und nahm einen Schluck Wein. «Köchinnen von Elsbeths Qualität sind rar. Da keine zur Verfügung stand, schon gar nicht für einen begrenzten Zeitraum, war es richtig, ihren Schützling in unsere Küche zu holen. Außerdem», sie lauschte einen Wimpernschlag lang zur Treppe hinaus und sprach erst weiter, als sie sicher war, keine Schritte zu hören, «außerdem kannst du dich damit schmücken, Mamsell Molly eine kleine Wohltat erwiesen zu haben. Nimm es als Bonuspunkt für deine Gute-Taten-Liste im Himmel. Du hast recht, der fordert größere und selbstlosere Taten», stimmte sie dem zweifelnden Blick ihres Neffen zu. «Trotzdem, wir haben eine nicht unbedingt grandiose, doch verlässliche Köchin, und Molly kann in diesen Wochen überlegen und ausprobieren, ob sie in den Haushalt ihrer Mutter, besser gesagt dieses Stiefvaters zurückkehren will. Uns beiden, mein Lieber, wird es nicht schaden, wenn wir nach dem langen trägen Winter ein bisschen weniger essen. Niklas scheint es ohnedies zu schmecken», schloss sie und sah mit einer Mischung aus Bewunderung und Argwohn vom absolut leer gegessenen Teller zum zufriedenen Gesicht ihres Großneffen.
«Ich finde, Molly kocht ganz fabelhaft», erklärte Niklas, was den Blick seines Vaters umgehend von zweifelnd zu misstrauisch wechseln ließ. Womöglich hatte er sich doch nicht geirrt, als er glaubte, seinen Sohn sanft erröten zu sehen, als sie beide heute Morgen Molly in der Diele begegnet waren. «Natürlich kocht sie anders als Elsbeth», erklärte Niklas nachdrücklich, «sie ist ja auch eine andere Person.»
Claes Herrmanns beschloss, darauf nicht einzugehen. Er liebte seinen Sohn und dachte manchmal noch mit Schrecken an die Jahre, als Niklas ihm nach dem Tod seiner Mutter unerreichbar und fremd gewesen war, ein einsames freudloses Kind. Nun war er neunzehn Jahre alt, hoch aufgeschossen, Gesicht und Glieder schmal, noch mehr Junge als Mann, was allerdings vielleicht nur im Auge des väterlichen Betrachters lag. Je älter Niklas wurde, umso mehr glich er seiner Mutter, weniger in der äußeren Gestalt oder in seinem zurückhaltenden Temperament, da war jedoch etwas in seinen Bewegungen, in seinem Blick, das an Maria erinnerte, die erste, auf furchtbare Weise ums Leben gekommene Madam Hermanns.
Vielleicht lag es daran und mehr noch an den schwierigen Jahren, die Niklas als Kind erlebt hatte, dass sein Vater ihm den Besuch des Akademischen Gymnasiums und das anschließende Studium an der Göttinger Universität erlaubte. Natürlich hätte er ihn lieber in einer Kaufmannslehre oder zumindest auf Professor Büschs Handelsakademie gesehen. Aber zu ihrem Staunen hatten seine Stiefmutter Anne und seine Großtante Augusta alle schlauen Strategien zur Erfüllung von Niklas’ Wunsch nach einem für die Herrmanns’sche Familientradition ungewöhnlichen Lebensweg streichen können. Claes hatte zwei Tage nachgedacht und, weil so ein einfaches Ja nicht seinen Gewohnheiten entsprach, noch einen Tag hinzugefügt, um dann einfach zuzustimmen. Einen Fallstrick oder eine nachgeschobene Bedingung, auf die Augusta noch einige Zeit gewartet hatte, hatte es nicht gegeben.
Der Grund war einfach: Claes Herrmanns wusste genau, dass sein jüngerer Sohn sich nie für den Handel interessiert hatte. Christian, der ältere, war ihm schon als kleiner Knirps in die Speicher gefolgt und hatte in steter Neugier erkundet, was dort, im Kontor und im Hafen passierte. Darauf hatte er bei Niklas vergeblich gewartet. Der war ein Bücherwurm und hatte sich ständig mit der weiten Welt beschäftigt. Leider hatten ihn dabei nicht die Waren neugierig gemacht, die die Schiffe aus entlegenen Weltgegenden auch für die Herrmanns’schen Speicher brachten, sondern die exotischen Insekten und sonstiges seltsame Getier, deren Abbildungen er in den Büchern der Commerzbibliothek gefunden hatte. Eine Zeit lang waren Schlangen seine Favoriten gewesen, dann Schmetterlinge, irgendwann auch Gewürze, wiederum ungeachtet ihres Handelswertes, sondern einzig wegen der Schönheit der Pflanzen.
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