Die Schwestern von Sherwood: Roman
Mitbewohnerin öffnete ihm. Sie wusste, wer er war, und ihr trauriges, betretenes Gesicht verriet ihm, dass seine schlimmsten Befürchtungen Wahrheit geworden waren. Er stürzte an Grace vorbei in Amalias Zimmer und sah, dass ihr Bett unberührt war und ihre Sachen fehlten. Grace kam hinter ihm her. Sie reichte ihm einen Block. Sie ist nicht mehr hier. Sie ist gegangen.
Es schien ihm, als würde sich der Boden unter seinen Füßen auftun und er in tiefe Schwärze stürzen, als würde sich alles wiederholen und er erneut durch alle Qualen und Schmerzen gehen müssen. Benommen fand er den Weg zurück zu der Wohnung, in der er so glückliche Stunden mit ihr verbracht hatte. In dem gedämpften Licht der Morgendämmerung saß er auf einem Stuhl und starrte ins Leere. Ein Schal von ihr, dem noch der Duft ihres Parfums anhaftete, war noch hier, und er hielt ihn verzweifelt in der Hand.
Gegen Mittag brachte ein Bote einen Umschlag. Er enthielt eine kleine Schatulle und einen Brief von ihr:
Mein Geliebter,
ich schreibe Dir diese Zeilen, obwohl es mir das Herz bricht. Doch es gibt keinen anderen Ausweg. Ich werde gehen. Bitte suche mich nicht. Es ist mein fester Entschluss. Als ich Dich in London wiedertraf, hast Du mir erneut die schönsten und glücklichsten Momente meines Lebens geschenkt. Ich werde sie für immer in mir tragen – genau wie Dich und unsere Liebe. Ich bedauere die, denen so zu lieben nie vergönnt sein wird. Doch tief in unserem Herzen wissen wir beide, dass es nicht für immer sein kann. Welches Recht hätten wir, unser Glück auf dem Leid und Unglück der anderen aufzubauen? Das Schicksal war grausam zu uns, Edward, als es uns die Liebe schenkte und zugleich die Zukunft dafür nahm. Dennoch kann nichts daran etwas ändern. Cathleen ist und wird immer Deine Frau bleiben, und Du trägst einen Namen, dessen Ansehen und Würde Dir nicht die Freiheit gibt, ihn nicht zu achten.
Ich werde dich immer lieben und nie vergessen,
Amalia
Die Worte verschwammen vor seinen Augen, und er fühlte sich, als würde etwas in ihm zerbrechen. Mit zittrigen Händen öffnete er die kleine Samtschatulle. Als er die rote Dame sah, wusste er, dass sie tatsächlich gegangen war – für immer. Wie sollte er ohne sie leben?
140
G raue Wolken türmten sich am Himmel über dem Dartmoor, und Cathleen sah nachdenklich nach draußen. Sie hatte Tage voller Angst verlebt, er würde nicht zurückkehren. Nachdem sie Amalia wiedergesehen hatte, war sie von London nach Hampton zurückgekehrt. Es lag nicht mehr in ihrer Macht, etwas zu verändern. Edward würde sie nie auf diese Weise lieben. Sie hätte sich damit abfinden sollen, doch sie konnte es nicht. Im Rückblick wurde Cathleen deutlich, dass Edward ihr seine Gefühle nicht einmal verheimlicht hatte. Sie hatte es nur nicht wahrhaben wollen.
Die Zeit verstrich in quälender Langsamkeit – die Stunden mochten nicht vergehen. Würde Edward bei ihr, seiner Frau, bleiben? War es nicht das einzig Richtige? Waren sie nicht im Angesicht Gottes und des Staates vermählt? Was konnte Amalia dagegen schon für ihn sein? Verstieß es nicht gegen jeden Anstand, wenn er mit ihr lebte? Tief saß die Eifersucht in Cathleens Herzen. Scham und Abscheu über sich selbst erfüllten sie zugleich. Was war sie nur für ein Mensch, dass sie, nach allem, was geschehen war und Amalia mitgemacht hatte, in ihrer Schwester doch nur noch eine Rivalin zu sehen vermochte? Und dennoch lauschte sie auf jedes Geräusch von draußen, hoffte, dass es die Kutsche war, die Edward nach Hause zu ihr bringen würde.
Und er kam tatsächlich. Fast zehn Tage waren vergangen, als sie einen Wagen in den Hof einfahren hörte. Sie stand oben am Fenster und erschrak. Sein Gesicht war grau, er wirkte müde und resigniert, um Jahre gealtert.
»Du bist hier. Du bist zurückgekommen«, sagte sie leise, als er durch die Tür trat.
Sein Blick, mit dem er sich zu ihr wandte, war leer. »Sie ist gegangen.«
Cathleen verspürte Erleichterung, obwohl sie es nicht wollte. Doch selbst der Schmerz in seinem Gesicht ließ in ihr erneut die Eifersucht aufflammen.
Er würde Zeit brauchen, sagte sie sich, aber während die Tage vergingen, wurde sein Zustand nur noch schlimmer. Er litt und versank in tiefe Depressionen. Über Tage verließ er nicht das Haus und saß nur apathisch da. Kaum schien er mitzubekommen, dass man mit ihm sprach. Manchmal erfasste ihn für einen kurzen Moment etwas Leben, dann begann er wie besessen, Briefe zu
Weitere Kostenlose Bücher