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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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davon zu überzeugen, nach Dublin zurückzukehren und die Sache ihnen zu überlassen.
    Â»Bist du nicht neugierig zu erfahren, wonach Lena sucht?«, hatte er versucht, sie anzustacheln. »Du kennst die richtigen Koordinaten und hast vollkommene Bewegungsfreiheit.«
    Â»Ich bin wegen Lena hier«, hatte sie knapp erwidert.
    Es war eine harte Auseinandersetzung gefolgt, aber am Ende hatte Nadja sich durchgesetzt. Lediglich auf einen einzigen Kompromiss hatte sie sich einlassen müssen: Sobald sie anlegen würden, sollte sie sich abseits halten und sich in einem der Hafengebäude verstecken, wo im Sommer gelegentlich Gäste der Eigentümer untergebracht wurden und die im Winter, laut den von Kirill gesammelten Informationen, unbewohnt waren.
    Doch nun, da sie sich in raschem Tempo der Insel näherten, kam Nadja zu Bewusstsein, wie anmaßend sie gewesen war. Sie fühlte sich einer derartigen Aktion nicht gewachsen und war heilfroh, dass sie sich verstecken sollte, sobald sie an Land gehen würden. Was wollte sie den Männern ihres Vaters denn beweisen? Dass sie eine echte Derzhavin war? Welchen Grund sollte es dafür geben? Als ob diese Leute überhaupt Sinn für derartige Dinge hatten. Sie warf ihnen einen flüchtigen Blick zu, vermied es jedoch, ihnen in die Augen zu sehen.
    Taras. Parnok. Der dritte Ukrainer, Sergej. Kirill. Vier undurchdringliche Gesichter. Männer, die sich dem Kampf stellten, als wäre es eine Pflicht. Wie viele von ihnen hatte sie in Anabah gesehen. Männer, die mit dem Krieg ein Lebensbedürfnis zu befriedigen schienen, so wie mit Essen, Trinken und Schlafen. Es bedurfte weder einer Ideologie noch eines Grundes, es genügte ein Feind. Aber traf das nicht auch auf den Rest der Menschheit zu? Welcher Unterschied bestand zwischen der Kurve eines Fußballstadions und einer Straße von Kabul, abgesehen vom Grad der Gewalt? Jemand beschloss, wer der Feind war, und andere zogen los, auf der Suche nach Auseinandersetzung. Es schien ein unstillbarer Hunger zu sein. Wenn es früher angeblich um des Ruhmes willen geschah, so führte das heute keinen Menschen mehr ins Feld. Das war nicht mehr nötig. Es stimmte nicht, dass Kriege immer nur aus wirtschaftlichen Interessen geführt wurden. Kriege wurden geführt, weil es immer jemanden gab, der bereit war zu kämpfen.
    Der Himmel wurde immer dunkler und das Meer unruhiger. Das Schlauchboot schnitt eine besonders hohe Welle, schnellte beinahe senkrecht empor und schlug dann auf dem Wasser auf, wobei eine Gischtwolke aufspritzte, die die gesamte Mannschaft erwischte. Nadja hatte das Gefühl, als habe ihr jemand einen Eimer Wasser ins Gesicht gekippt, aber sie erholte sich rasch. Die von Kirill ausgewählte Schutzkleidung − schwarze, wasserdichte Fladen-Schwimmanzüge − erwies sich als äußerst brauchbar.
    Nadja wandte sich zu dem Sibirier um, der am Steuer saß: Er sah starr aufs Meer hinaus, in Richtung Insel. In seinem Blick erkannte Nadja den wahren Grund für jenen Kriegshunger, der die Menschheit seit jeher begleitete. Es lag eine Faszination darin. Aber sie kannte das Gegenmittel, denn es genügte, auf der anderen Seite zu stehen. Sie stellte sich vor, wie Kirill sie zurück nach Anabah bringen und dort bei ihr bleiben würde. Er wäre ein perfekter Organisator, von allen geachtet und respektiert. Aber vielleicht würde dieser verdammte Hunger wie ein Dämon in ihm erwachen und ihn nach wenigen Wochen dazu treiben, sich in die Reihen der Guerillakämpfer einzuordnen.
    Ein Blitz zerriss den Himmel, unmittelbar darauf folgte ein tosendes Donnern. Regen begann mit aller Gewalt niederzuprasseln. Zum Glück hatten sie es nicht mehr weit, dachte Nadja und hielt nach dem Hafen Ausschau, wo sie die Umrisse eines Segelbootes erkannte. Es musste das Boot sein, mit dem Lena und ihre Leute zur Insel gelangt waren.
    Kirill drosselte die Geschwindigkeit. Als sie in die Nähe der Mole kamen, schaltete er den Motor aus. Parnok und Taras hantierten mit den Paddeln, und mit einiger Mühe legte das Schlauchboot an.
    Der Regen bildete mittlerweile einen nahezu undurchdringlichen Vorhang.
    Kirill zückte die Pistole und übernahm das Kommando. Mit einer Reihe knapper Gesten brachte er seine Leute in Stellung.
    Die vier bewegten sich so sicher wie eine Elite-Einheit. Einer bildete die Vorhut, die anderen deckten ihn. Sobald der Erste einen geschützten Platz

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