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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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die Tür zuging, bemerkte sie, dass sie angelehnt gewesen war. Dabei war sie sicher, sie selbst geschlossen zu haben. Aber vielleicht ging bloß die Fantasie mit ihr durch.

22
    Moskau, Stiftung Derzhavin
Montag, 27. Dezember, 9.40 Uhr
    Er musste sich beeilen. Sie würden jeden Moment hier sein, und das gefiel ihm gar nicht. Er war der Gefragteste auf seinem Gebiet, ein echter Künstler, aber für seine Meisterwerke brauchte er Zeit.
    Der Gesichtsabdruck von Catherine Derzhavin war perfekt gelungen, aber nun kam der heikelste Augenblick. Alles hing von der Vertiefung der Regenbogenhaut ab. Wenn sie zu markant ausfiel, würde sie die Glanzlosigkeit eines leblosen Blickes erkennen lassen. War sie dagegen zu schwach ausgeprägt, würde sie die Falschheit der Fiktion unterstreichen.
    Meister Rondoni zog einen feinen, sich zur Spitze hin gleichmäßig verjüngenden Meißel aus seiner Werkzeugtasche. Dann wählte er sorgfältig das Hämmerchen. Entscheidend war, dass der Schlägel das richtige Gewicht hatte, denn ein einziger, exakter Schlag musste genügen. Und dieser Schlag musste so gesetzt sein, dass er allein durch den Hammer in seiner absolut vertikalen Flugbahn geführt wurde. Jegliche Muskelbewegung hätte zu einer Richtungsabweichung geführt, und dieser Fehler wäre für immer im Rund der Regenbogenhaut sichtbar geblieben wie ein beschämendes Signet.
    Er legte das Spitzeisen in der Mitte der rechten Pupille an und hob dann langsam das Hämmerchen. Als er seiner Schätzung nach die richtige Schlaghöhe erreicht hatte, kniff er die Augen zusammen, entspannte schlagartig die Armmuskulatur und ließ das Hämmerchen niederfallen. Dann hob er das Werkzeug mit äußerster Sorgfalt an und betrachtete das wächserne Gesicht unter sich. Es erschien ihm perfekt, und er gratulierte sich dazu. Er wiederholte den Vorgang mit derselben peinlichen Genauigkeit an der linken Pupille und nahm dann die letzte, entscheidende Kontrolle vor: die Ausrichtung des Blicks. Er trat ein paar Schritte von dem Tisch zurück, auf dem die Wachsstatue lag, und lief dann, wie auf einer gedachten Linie, einmal ringsherum. Diesmal hatte er sich wirklich selbst übertroffen. Der Blick war ihm auf der gesamten Strecke gefolgt, ohne jegliche Parallaxenverschiebung, als sei er die ganze Zeit freundschaftlich und ein wenig traurig beobachtet worden.
    In diesem Augenblick öffnete sich die Glastür zum Großen Saal der Stiftung Derzhavin, den man zum Aufbahrungsraum umfunktioniert hatte. Meister Rondoni wurde aus seinem narzisstischen Delirium gerissen. Der äußerst anspruchsvolle Auftraggeber näherte sich, ganz in Schwarz gekleidet und wie gewohnt mit energischem, gebieterischem Schritt.
    Â»Was sagen Sie dazu, Mister Derzhavin?«, fragte er seinen Kunden zufrieden.
    Gavril warf einen Blick auf das Wachsgesicht seiner Frau, wandte ihn jedoch gleich wieder ab und sah dem Bildhauer starr in die Augen: »Lebend wäre sie mir lieber.« Dann fuhr er kalt und ohne die leiseste Gefühlsregung fort: »Räumen Sie jetzt bitte rasch Ihre Sachen zusammen. In zehn Minuten öffnet der Aufbahrungsraum, und hier wird alles voller Leute sein.«
    Â»Ich bin fertig. Die Abdrücke der Hände sind großartig. Möchten Sie sie sehen?«
    Â»Nein«, erwiderte Gavril kurzangebunden. Dann fügte er etwas wohlwollender hinzu: »Ich verlasse mich auf Ihr Wort, Mister Rondoni.«
    Â»Danke, Mister Derzhavin. Wie vereinbart werde ich noch einmal letzte Hand anlegen, bevor ich das Werk höchstpersönlich im Wachsfigurenkabinett aufstelle.«
    Der Oligarch betrachtete den geöffneten Sarg. »Der Sockel steht schon bereit«, murmelte er. »Zwischen Nicole Kidman und Angelina Jolie. Übrigens ist der gesamte Saal von mir finanziert worden. Lassen Sie das Glas wieder einsetzen.«
    Dann drehte er sich um und verschwand, von wo er gekommen war. Zügig durchquerte er das riesige Barockfoyer und warf einen Blick durch das breite Fenster hinaus in den englischen Garten, der unter Schnee und Eis lag. Die Platzanweiser hatten das große, zur Bolschaya Pirogowskaya gelegene Tor geöffnet. Das Nowodewitschi-Kloster, wo sich Catherine Derzhavins Lebenskreis mit einer − durch den Metropoliten Juvenali zelebrierten − Trauerfeier schließen würde, befand sich in unmittelbarer Nähe. Hinter dem Tor schlängelte sich schweigend und gesittet

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