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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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in eine Bruchbude in La Boca, weit entfernt vom berühmten El Caminito, der Straße mit den bunten Häusern, die für jeden Touristen zum Pflichtprogramm gehört.
    Dort hatte Florette ihre Jugend verbracht, indem sie den Xeneizes, den Nachkommen der Genueser Einwanderer, die sich als Hafenarbeiter verdingten, Mate und Rum servierte.
    Sie hatte das Heimweh ertragen, indem sie Bachata, den sinnlichen, aufreizenden Tanz ihrer Insel, tanzte, und zwar mit stets wechselnden Partnern, die sich prompt in sie verliebten und denen sie ebenso prompt den Laufpass gab, sobald sie ihr das gestanden. Männer, egal welchen Typs, interessierten sie damals nicht: weder der Vater, der sie in dieses Elend hineingezogen hatte, noch die Schönen, die die Herzen ihrer Freundinnen höher schlagen ließen, oder gar die Schurken, die zwar Geld, aber keine Zukunft hatten. Für Florette gab es nur den Tanz. Am Ende war er zu ihrem Lebensinhalt geworden, und nach acht Jahren der Entbehrung und des eisernen Sparens war es ihr gelungen, mit Unterstützung von Susana Cristóbal, einer alten Adligen, die eine große Leidenschaft für Schauspielerei entwickelt und Florette in ihr Herz geschlossen hatte, ein Kellergeschoss in einer kleinen Seitenstraße der Plaza de la Constitución zu erwerben. Dort hatte sie die Tanzschule Arco Latino eröffnet, die sich gänzlich dem freien Zusammenspiel von Schauspielerei und Lateinamerikanischem Tanz verschrieb.
    Die Schule wäre eine von vielen gewesen, hätte es nicht eine äußerst ungewöhnliche Regel gegeben, die sie von Anfang an auszeichnete und ihr innerhalb kürzester Zeit zu Erfolg verhalf: Auf Wunsch der alten Finanzgeberin durften sich im Arco Latino nur Frauen anmelden, und auch das erst nach einer strengen Auswahl. Und wie überall dort, wo der Zugang erschwert ist, bildete sich auch hier bald eine lange Schlange von Anwärterinnen.
    Dank des Erfolges konnten im Lauf der Jahre in allen großen Metropolen Lateinamerikas und Südeuropas weitere Schulen eröffnen. Das Tanzcorps des Arco Latino , dem die besten Schülerinnen angehörten, erfreute sich seit nunmehr über einem Jahrzehnt einer beinahe an Fanatismus grenzenden Beliebtheit beim Publikum. Nach dem Tod der alten Susana hatte es die Señora höchstpersönlich übernommen, ihre Mädchen auszuwählen und in Tanz und Schauspiel zu unterrichten, wobei sie sich einer ebenso effizienten wie geheimen Methode bediente.
    Die Varieté -Tänzerinnen, wie sie sie nun nannte, waren überall auf Plakaten zu sehen. Der Schlüssel zum Erfolg lag in den Augen der meisten gerade in jener für die lateinamerikanischen Paartänze so typischen aufgeladenen Sinnlichkeit, die hier auf provokante Weise in rein weiblicher Version durchgespielt wurde. Auch wenn zum Erfolg des Arco Latino laut der kritischsten und vielleicht neidischsten Zungen in hohem Maße die frivolen Auftritte einiger seiner blutjungen Primaballerinen beigetragen hatten, die trotz ihrer Darbietungen an der Grenze zum Lesbischen − und zur Freude aller Skandalblätter − auf Flirts und Ehen mit den bekanntesten Männern der internationalen Elite aus waren. Im Gegensatz zu ihren kapriziösen Schülerinnen führte die Señora, wie ein die Fantasie vieler beflügelnder Kontrapunkt, ein nahezu asketisches Leben. Sie war ständig auf Reisen, um ihre Schulen und ihr Tanzcorps persönlich zu betreuen. Und trotz der großen Aufmerksamkeit, die ihr die weltweit lauernden, erfolgreichsten Skandalreporter schenkten, war es noch keinem von ihnen gelungen, auch nur ein kompromittierendes Foto zu ergattern.
    Nun sah Florette Binta Breeze dem jungen Platzanweiser in die Augen und lächelte ihm gewinnend zu: »Natürlich kenne ich die Regeln, und ich kann Ihre Bedenken gut verstehen, junger Mann. Aber glauben Sie mir, es ist eine absolute Ausnahme. Außerdem …«, fügte sie in beinahe verführerischem Ton hinzu, »… bin ich so schmal, dass ein Spalt genügt, um mich hineinzulassen, glauben Sie nicht?«
    Mit diesen Worten holte sie einen gefalteten Umschlag aus ihrem Krokodilledertäschchen, wie sie in Reisebüros zur Aufbewahrung der für die Kunden ausgestellten Tickets verwendet werden, und reichte ihn dem Mann.
    Dimitri Chlebnikov war sichtlich beunruhigt: Er fühlte sich buchstäblich verzaubert. Außerdem war er sicher, diese Frau schon einmal irgendwo

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