Die Schwesternschaft
farblich zu gestalten.
»Der Prospekt stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Er wurde für eine Inszenierung im Kleinen Tschechow-Theater in Leningrad angefertigt. Aber dann kam der Einmarsch der Nationalsozialisten â¦Â«
»Es könnte ein Zusammenhang bestehen â¦Â«, überlegte Nadja.
Der Vater sah sie erstaunt an: »Meine besten Leute arbeiten Tag und Nacht daran, aber bisher ohne jegliches Ergebnis.«
»Weil sie Mama nicht in ihre Ãberlegungen mit einbezogen haben.«
Gavril fühlte sich gekränkt: »Natürlich haben sie sie mit einbezogen! Die gesamte Untersuchung setzt bei ihr an, und zwar auf meine Anweisung.«
Nadja sah forschend in das angespannte Gesicht des Vaters. Sie hatte geahnt, dass sie irgendwann im Lauf dieses Tages etwas Falsches sagen und er verärgert sein würde. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es gerade in dem Moment geschehen würde, in dem sie auf die Mutter zu sprechen kamen. Beide waren durch Catherines Tod tief erschüttert, und Nadja hatte nicht die Absicht, alte Wunden aufzureiÃen. Schon gar nicht jetzt, wo sie dieses Rätsel nicht nur von ihrem Schmerz ablenkte, sondern sie auch einander näherbrachte als je zuvor.
»Tut mir leid, ich habe mich falsch ausgedrückt«, versuchte sie einzulenken.
»Was wolltest du dann sagen?« Offenbar hatte Gavril ähnliche Gedanken gehabt wie sie, denn seine Stimme klang wieder versöhnlich.
»Hat Mama die Bühnenprospekte jemals gesehen?«
»Natürlich. Ich habe sie vor ein paar Wochen mit nach Sotschi genommen.«
»Bist du seitdem noch mal dort gewesen?«
»Nur noch einmal«, antwortete Gavril. Er wirkte verlegen.
»Mit Lena?«, bohrte sie weiter.
»Nein, nein«, wehrte er eilig ab. »Nur um ⦠den Verkauf an den Antiquitätenhändler zu regeln.«
Nadja betrachtete ihn misstrauisch, doch dann zog sie es vor, das Thema zu wechseln.
»WeiÃt du noch, ob Mama besonders beeindruckt von diesem Bühnenprospekt war?«
Gavril überlegte kurz, dann nickte er: »Ja ⦠wenn ich mich recht erinnere, hat sie ihn länger als alle anderen betrachtet. Allerdings hat sie nichts Besonderes dazu gesagt. Sie schien mehr an den Details als an der Gesamtdarstellung interessiert zu sein.« Gavril trank den letzten Schluck Wein. »Aber was spielt das für eine Rolle?«, fragte er schlieÃlich.
»Meiner Meinung nach müssen wir genau dort ansetzen.«
»Ich weià nicht, was du meinst â¦Â« Gavril schenkte sich ein zweites Glas ein.
»Hör zu, Papa: Mama bildet den Mittelpunkt, und was ist um sie herum?«
»Was um sie herum ist?«
»Die Welt der Schauspielerei. Sie wird während der Dreharbeiten ermordet, und dir stehlen sie einen Bühnenprospekt. Mir scheint, der Zusammenhang ist mehr als offensichtlich.«
»Aber das bringt uns keinen Schritt weiter. Ich habe alle vernehmen lassen, die Catherine kannten, ihre Agentin, den Produzenten. Ich habe ihre Fan-Seiten laufend überwachen lassen. Es ist nichts dabei herausgekommen.«
»Dann müssen wir von vorne beginnen.«
»Komm zum Punkt.«
»Wer hat den Bühnenprospekt gemalt?«
Gavril blätterte in der Mappe. »Eine gewisse Olga Twardowski.«
»Lebt sie noch?«
Gavril strich sich über das Kinn: »Ich habe diesbezüglich keine Nachforschungen anstellen lassen.«
»Das solltest du aber. Lass uns diese Olga finden.«
Der Vater schüttelte den Kopf: »Warum sollte ich die Spur einer Malerin verfolgen, die vielleicht seit über sechzig Jahren tot ist?«
»Um herauszufinden, was hinter diesem Bühnenprospekt steckt. Wenn du das herausfindest, findest du wahrscheinlich auch Mamas Mörder.«
»Die werde ich finden, verlass dich drauf«, erwiderte Gavril knapp. »Lass uns jetzt gehen. Das Abendessen steht sicher schon bereit.«
Nadja biss sich auf die Lippen. All diese Ãberlegungen hatten lediglich dazu geführt, dass ihr Vater wieder einmal das groÃspurige Verhalten eines Patriarchen und die alte Arroganz an den Tag legte.
»Kannst du mir den Ordner überlassen?«, bat sie ihn.
»Ich kümmere mich schon selbst darum«, erwiderte er.
Nadja hatte keine Zeit zu protestieren. Der Vater legte die Mappe zurück an ihren Platz. Sie sah, dass seine Hände zitterten. Noch nie hatte sie ihn in einem derartigen Zustand erlebt.
Als sie auf
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