Die Schwingen des Todes
Gewalt gegen sie oder das Kind, noch antun? Sie hatte nichts mehr zu verlieren.
In zwei Monaten würde sie, um zu überleben, das Studium aufgeben müssen und arbeiten gehen. Wenn sie erst einen Job fand, würden ihr Männer über den Weg laufen, die etwas für sie taten. Das wusste sie aber noch nicht. Sie war ein Mensch, der sich ganz auf das Hier und Heute konzentrierte.
Wie lange würde das wohl so bleiben?
Wenn er sie wieder unter seiner Kontrolle und in seinem Bett haben wollte - und das wollte er wirklich -, musste er ihr etwas anbieten.
Er machte ihr einen Vorschlag. Sie befand sich im dritten Studienjahr und kämpfte ums Überleben. Sie wollte Ärztin werden, ein Ziel weit jenseits ihrer finanziellen Möglichkeiten. Selbst mit Stipendien und Krediten würde sie es nicht schaffen. Sie war hoch verschuldet, und wenn sie weiterstudieren und zugleich ihr Kind anständig großziehen wollte, brauchte sie Geld, viel Geld. Warum nicht vom Vater des Kindes?
Der Handel lautete: Sex gegen Unterhalt - so banal wie in vielen amerikanischen Ehen. Sie hätte ihn zwar auf Alimente verklagen können - und das Gesetz war klar auf ihrer Seite -, aber er verfügte über das Geld und die Anwälte, um eine Gerichtsentscheidung jahrelang hinauszuzögern. Außerdem würde er Forderungen stellen: geteiltes Sorgerecht, Wochenendbesuche und gemeinsame Ferien. Es würde viel böses Blut geben. Schaden, der nicht wieder gutzumachen war. Eine freundschaftliche Lösung schien viel besser - und viel p raktischer - zu sein. Sein Vorschlag beinhaltete, dass sie das Kind nach ihren Vorstellungen erziehen konnte, ohne dass er sich einmischte. Es bedeutete, dass sie alles bekam, was sie brauchte, ohne dass er Fragen stellte.
»Denk drüber nach«, hatte er gesagt. Keine Schuldenberge mehr, keine Gläubiger, die an ihre Tür hämmerten oder in Briefen mit der Räumung drohten.
Denk drüber nach.
Eine Wohnung mit Heizung und Klimaanlage, ein richtiger Herd statt einer Kochplatte, eine Dusche und eine Badewanne. Genug Geld für Nahrung und Kleidung, für eine Privatschule und Musikunterricht für das Kind. Keine Hilfsarbeiten mehr. Geld aus Jobs, die sie annahm, wäre nur für ihr eigenes Bankkonto - Geld, das nur ihr selbst gehörte und nicht zum Einkaufen oder für die Miete draufging.
Denk drüber nach.
In fünfeinhalb Jahren würde sie Frau Doktor sein, hätte einen allseits respektierten Titel und das dazugehörige Einkommen, eine Garantie ihrer Unabhängigkeit.
Denk drüber nach.
Die Feiertage. Er erinnerte sich, wie gut sie gekocht hatte. Der Tisch hatte sich zu Thanksgiving gebogen - ein großer gefüllter Truthahn, glasierte Yamswurzeln, Schüsseln mit frischem Gemüse, Preiselbeersoße und zum Nachtisch Kürbiskuchen. Wie wär's mit neuen Kleidern zu Ostern? Und einem richtigen Weihnachtsfest mit einem geschmückten Baum und einem Haufen Geschenken darunter für sie und das Kind? Denn es ging nicht nur um sie, oder? Verdiente Gabe es nicht, seinen richtigen Vater zu kennen? Er konnte Gabe etwas bieten. Er wusste, dass sein Sohn musikalisch begabt war. Von wem hatte er das wohl? Er besaß Eigenschaften, die er mit seinem Sohn teilen konnte. Aber er würde sich nie aufdrängen. Sie hätte bei Gabes Erziehung das letzte Wort.
Denk drüber nach.
Er würde die Vergangenheit und die schlimmen Erinnerungen daran für sie vergessen machen und eine sichere Zukunft an deren Stelle setzen. Alles, was er von ihr wollte, alles, was er brauchte, waren alle paar Monate ein paar Tage. Kein zu hoher Preis, wenn man bedachte, dass sie es früher einmal umsonst mit ihm getan hatte. Es war doch nicht zu viel verlangt, oder? Ein bisschen... Flexibilität in ihrer Haltung ihm gegenüber? Denn wenn sie beide ehrlich waren - es knisterte doch immer noch zwischen ihnen. Es ging nicht bloß um Sex, es ging um eine Beziehung.
Sie hörte ihm aufmerksam zu, antwortete aber nicht. Das war ihm egal. Er nahm ihr Schweigen als Zustimmung.
Als sie am nächsten Tag an der Uni und das Kind in der Krippe war, begann er das Angebot in die Tat umzusetzen. Er mietete eine bescheidene, aber saubere Dreizimmerwohnung, komplett ausgestattet und verkehrsgünstig. Er ging für sie einkaufen, füllte die Vorratsregale und den Kühlschrank mit Lebensmitteln und die Kommoden und Schränke mit Kleidung: Wintersachen für sie und das Kind - Pullover, Hosen, Mäntel, Stiefel und Schals. In einem Gebrauchtwarenladen erstand er ein Gulbransen-Klavier. Als er die beiden
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