Die Schwingen des Todes
abends in der Limousine abholte und ihr zeigte, was möglich war, war er fast sicher, es geschafft zu haben. Er nahm ihre unerledigte Post mit nach New York und beglich ihre diversen Rechnungen.
Fünfeinhalb Jahre würde sie sein Eigentum sein. Und er ging davon aus, dass er im Lauf der Zeit genug von ihr bekäme.
Ein großer Irrtum.
Immer wenn er von ihr wegfuhr, bohrte sich ihm ein Messer ins Herz. Er begehrte sie nicht nur, war nicht nur verrückt nach ihr, er brauchte sie. Wenn sie zusammen waren, brachte sie seine Dämonen zum Schweigen. Ihre Stimme, ihr Gesicht und ihre Berührungen waren beruhigender als alle Medikamente, die e r je genommen, wirkungsvoller als jede Therapie, die er gemacht hatte. Sie war wie Rauschgift, und er war so abhängig von ihr, als würde sie durch seine Adern fließen.
Noch zweieinhalb Jahre.
Der Gedanke, sie wäre finanziell unabhängig und könnte ihn eines Tages wieder verlassen, ihn diesmal von seinem eigenen Fleisch und Blut trennen, ließ sein Herz vor Angst schneller schlagen. Und jetzt sprach sie davon - nur theoretisch -, einen anderen zu heiraten. Seine Angst verwandelte sich in unkontrollierbare Wut.
Was, zum Teufel, bildete sie sich ein?
Sein Atem ging schneller. Langsam würde sich seine Depression verflüchtigen und seine Energie in ungezügelte Raserei verwandeln. Dann überkam ihn der Drang. Inzwischen versuchte er gar nicht mehr, ihn zu zügeln, denn er wusste nur zu gut, dass es nur einen Weg gab, ihn loszuwerden.
Er griff unter die Matratze und zog eine seiner vielen Schusswaffen hervor - eine halbautomatische Walther. Eine Pistole in der Hand zu halten, linderte das Gefühl, aber nur für kurze Zeit. Er brauchte etwas Dauerhafteres. Mit plötzlicher Entschlossenheit schob er das Magazin in den Patronenschacht.
Scheiß auf die Versprechen - stillschweigende und ausdrückliche.
Er hatte einen Job zu erledigen.
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
31
Trotz der Kälte und der bedrohlichen Wolken liefen relativ viele Jogger durch den Liberty Park, Männer und Frauen in Jogginganzügen, die Dampfwolken ausstießen wie Feuer speiende Drachen, Hinter ihnen glitzerte der Stahl- und Glasbau der Polizeistation von Quinton im matten Sonnenlicht wie ein Computerchip. Bevor Decker aus dem Auto stieg, ließ er seine Hand einen Augenblick auf dem Metallgriff der Tür ruhen und sagte zu Jonathan: »Du hast meine Mobilnummer und ich die deine.«
»Ja.« Jonathan rieb sich den steifen Nacken. »Ich hab kein gutes Gefühl dabei.«
»Tu in Bezug auf deine Verwandten nichts, womit du nicht leben kannst«, meinte Decker. »Ich hab Verständnis dafür.«
»Um mich mach ich mir keine Sorgen, sondern um dich.« »Um mich? Wieso?«, fragte Decker mit gerunzelter Stirn. »Du hast den Polizeichef beim letzten Mal nicht gerade unter idealen Umständen angetroffen.« »Ich will nur mit dem Mann reden.«
»Akiva, wenn man ihm in die Quere kommt, wird er ungemütlich. Du bist in seinem Revier, also gehst du ein Risiko ein.«
»Ich weiß, was ich tu.«
»Wirklich?«
Im Geist ging Decker die Ereignisse der letzten Tage durch. Es war mehr als eine beiläufige Frage. »Ich bin vorsichtig.« Dann öffnete er die Tür und stieg aus. Rasch ging er, die Hände in den Taschen vergraben, zur Polizeistation - er musste noch seine Handschuhe bei Luisa abholen -, wobei er den Joggern und Skatern auswich und sich fragte, ob er es jemals schaffen w ürde, die Dinge etwas ruhiger anzugehen. Es war nicht bloß dieser Fall, sondern jeder, mit dem er es zu tun hatte, und nur eine Frage der Zeit, bis sich das Burnout-Syndrom einstellte.
Ein paar Regentropfen fielen zu Boden. Er beschleunigte seine Schritte und schaffte es zum Gebäude, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete. Drinnen war es zwar nicht warm, aber doch erträglich und außerdem trocken. Er hielt den üblichen Dienstweg ein, um zu Merrin zu gelangen, aber in einer so kleinen Stadt war dieser recht kurz. Zu seiner Überraschung befand sich Merrin im Büro, und zeigte sich sogar bereit, ihn zu empfangen, obwohl er sich bei ihrer letzten Begegnung wie ein Idiot benommen hatte.
Während er wartete, überlegte sich Decker, was er zu seiner Entschuldigung vorbringen und wie er sich verhalten sollte. Als der Chef erschien, hatte Decker nicht nur eine Verteidigungsstrategie parat, sondern trug auch eine Demutsmiene zur Schau. Als Friedensangebot streckte er ihm die Hand entgegen. Der Chef schüttelte sie und forderte ihn dann auf, ihm zu
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