Die Schwingen des Todes
Bäumen und altmodischen Straßenlaternen, deren Lampen an Blütenzweige erinnerten. Manche Wege waren nicht einmal gepflastert. Überall standen große Platanen und Eichen, die im Sommer kühlenden Schatten spendeten, auch wenn sie jetzt noch kahl waren. Lediglich die Nadelbäume und ein paar Frühblüher mit knospenden Blättern, die wie Moos die Äste überzogen, sorgten für etwas Grün.
Zwischen Taft, Taylor und Tyler Street befand sich die örtliche Einkaufsmeile mit den üblichen Namen: The Gab, Banana Republic, Star's, Ann Taylor, Victoria's Secret, Pottery Barn. Alles Ladenketten, aber zumindest einzelne Geschäfte und n icht unzählige Läden unter einem riesigen Dach mit angrenzendem Parkplatz in der Größe des Michigansees. Hier verlief die Parkplatzsuche ohne Probleme und ohne Gebühr. Decker sprach Jonathan auf das nicht vorhandene Einkaufszentrum an und wollte wissen, wo Shaynda sich mit den anderen Jugendlichen getroffen hatte.
»In der nächsten Stadt gibt es ein Einkaufszentrum - in Bainberry.«
»Es ist sehr hübsch hier. so nett altmodisch.« »Auf dieser Seite, ja.« »Und was ist mit der anderen... ?« Jonathan starrte aus dem Fenster.
»Wie weit sind wir vom religiösen Teil entfernt?«, fragte Decker.
»Du wirst es merken, wenn wir da sind.«
In dem baumreichen und mit bunten Tulpenbeeten übersäten Park befanden sich auch die Gerichts- und Verwaltungsgebäude, das Stadtarchiv, die Hauptwachen von Polizei und Feuerwehr und eine Bibliothek. Darüber hinaus bot Liberty Field einen kleinen See, einen botanischen Garten, eine überdachte Eislaufhalle, ein Bowlingcenter sowie ein Gemeindezentrum, in dem die Quinton-Highschool gerade ein Theaterstück aufführte.
Nachdem sie den Park passiert hatten, lenkte Jonathan den Van in eine Straße, die von Gruppen kahler Bäume gesäumt war. Einige Minuten später kamen wieder Gebäude in Sicht: kleinere, schmucklosere und zweckmäßigere Häuser. In den Auffahrten standen billigere Wagen und Vans. Die Grundstücke waren kleiner und kahler, und auch das Einkaufsviertel unterschied sich deutlich von seinem eleganteren Pendant. Abgesehen von dem Wort »Quinton«, das hin und wieder auf Schildern auftauchte, war die Gegend vollkommen austauschbar mit den religiösen Geschäften, schuls und den nach Geschlechtern getrennten kirchlichen Schulen in Borough Park. Auch die Bewohner mit ihren Perücken und schwarzen Hüten schienen identisch. Es war kaum vorstellbar, dass diese beiden so unterschiedlichen Viertel gemeinsam eine Stadt bildeten. Decker fragte sich, warum sich die beiden Bevölkerungsgruppen zu diesem Schritt entschlossen hatten, wenn jedes Viertel solch großen Wert auf eine eigene Identität legte.
»Im Augenblick braucht die Stadtverwaltung jedes kleinste bisschen an Grundsteuer, um Quinton am Leben zu erhalten. Wenn sich die orthodoxe Bevölkerung lossagen würde, käme nicht mehr genügend Geld in die Kasse, um sämtliche städtischen Aufgaben wahrnehmen zu können.«
»Und gibt es irgendwelche Probleme zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen? «
»Ja«, sagte Jonathan. »Aber sie sind aufeinander angewiesen. Zwar wurde eine Reihe von Kompromissen geschlossen, aber es kam auch zu ein paar unschönen Auseinandersetzungen. Im Augenblick wünschen sich die Orthodoxen ihren eigenen Schulbezirk, allerdings soll die Stadt das finanzieren. Sie können die Idee einer Trennung von Kirche und Staat nicht nachvollziehen. Und was noch schlimmer ist: Sie verstehen nicht, warum das auf lange Sicht besser für sie sein soll.«
»Andererseits haben sie nicht ganz Unrecht«, erwiderte Decker. »Sie zahlen Steuern, bekommen aber nichts dafür zurück.«
»Du hast dich doch sicher schon mal mit Rina darüber unterhalten, dass sämtliche Orthodoxen das Gutscheinsystem schätzen. «
»Ja, auch Rina schätzt es, aber sie ist andererseits zu der Erkenntnis gelangt, dass das öffentliche Schulsystem auch eine Menge für sich hat.«
»Dann ist sie aber eine der Ersten«, entgegnete Jonathan. »Die Orthodoxen bekommen die Feuerwehr, die Müllabfuhr und die Polizei. Vor kurzem war sogar die Rede davon, dass sie die öffentlichen Schulen am Vormittag mitnutzen und ihre Kinder am Nachmittag in die jeschiwas schicken, damit diese keine zusätzlichen Lehrer für weltliche Schulfächer einstellen müssen.«
»Das klingt doch ganz vernünftig«, meinte Decker.
»Dummerweise wollen die Orthodoxen aber nicht, dass die Lehrer Evolutionstheorie, Sexualunterricht
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