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Die Schwingen des Todes

Die Schwingen des Todes

Titel: Die Schwingen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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leichten Stoß gegen die Schulter. Sammy war etwa drei Zentimeter größer als Jacob - sogar barfuß maß er über einen Meter achtzig. Zwischen den beiden Brüdern bestand kaum Ähnlichkeit. Sammy kam nach seinem Vater: rotblonde Haare, braune Augen, ebenmäßige Gesichtszüge und ein verschmitztes Lächeln. Er sah gut aus, war aber kein Schönling. Jacob hingegen schien Rina wie aus dem Gesicht geschnitten: Er hatte das gewisse Etwas. Allerdings besaßen die beiden Jungen fast identische Stimmen und eine ähnliche Sprachmodulation. Am Telefon konnte Decker sie nicht auseinander halten.
    »Das Bild ist für dich, Dad«, sagte Jacob. »Wenn ich eines Tages meinen Abschluss mache und dann alt und grau bin, erinnert es daran, was ihr beide - du und Eema - mir angetan habt.«
    »Ein wenig akademische Blässe hat noch keinem geschadet.«
    Jacob verzog das Gesicht. Doch plötzlich hellte es sich zu einem Lächeln auf. »Sejde, Sejde, was siehst du gut aus!«
    Rav Lazarus hatte das Wohnzimmer betreten, seinen Stock in der Hand, obwohl er ihn nicht unbedingt als Gehhilfe benötigte. Er begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln, auch wenn seine Zähne durch jahrzehntelangen Teekonsum etwas braun verfärbt waren. Langsam ging er auf seinen Enkel zu, legte einen Arm um Jacobs Hals und zog ihn zu sich herunter, damit er ihm einen Kuss auf die Stirn drücken konnte. Zur Feier des Tages trug er einen langen schwarzen Gehrock, einen schwarzen, breiten Stoffgürtel gartl genannt - und einen prachtvollen schwarzen Hut, der gut zu seinem weißen Bart passte. Seine Stimme klang krächzend und dünn, als bekäme er nur schlecht Luft. »Yonkele.«
    »Sejdele.« Jacob küsste seinen Großvater auf die Wange. »Du kannst stolz auf mich sein. Ich hab jetzt meinen eigenen schwarzen Hut.« Er zeigte ihm seinen Borsalino und setzte ihn auf. »Na, wie findest du ihn?«
    Rabbi Lazarus tätschelte ihm die Wange. »Ich finde, du bist ein guter Junge!«
    »Wie mein abba?«, fragte Jacob.
    »Wie dein abba.« Der alte Mann lächelte Decker an. »Wie deine beiden abbas.«
    »Schabbat Schalom, Sejde.« Sammy küsste seinen Großvater. »Bist du bereit?«
    »Cain, cain«, bestätigte sein Großvater auf Hebräisch. »Natürlich bin ich bereit.« Er ging zu Decker. »Danke, dass du g ekommen bist. Du hast meine Frau sehr glücklich gemacht.«
    Decker lächelte. Natürlich war Sora Lazarus nicht die Einzige, die sich darüber freute, ihre beiden Enkel, die den Namen Lazarus trugen, bei sich zu Besuch zu haben. »Ich freue mich auch, dass ich hier bin.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das noch ein wenig feuchte Haar. Die Dusche hatte gut getan, aber als Jonathan ihn am Nachmittag in Brooklyn abgesetzt hatte, war Decker der sechste, der ins Bad wollte, und als er schließlich an die Reihe kam, floss nur noch lauwarmes Wasser aus dem Hahn. Aber zumindest war es nicht kalt.
    Der Esstisch reichte an diesem Abend bis ins Wohnzimmer: Man hatte ihn ausgezogen und für sechsundzwanzig Personen gedeckt. Deckers Familie zählte fünf Personen; dazu kamen die Großeltern Lazarus sowie die Familie ihrer Tochter, also insgesamt dreizehn. Jonathan samt Frau, Kindern und seinen Eltern, die nur wenige Straßen entfernt wohnten, machte zusammen neunzehn Personen. Und dann hatte Mrs. Lazarus in letzter Minute noch Jonathans Bruder Shimon eingeladen, der auch in der Nachbarschaft lebte. Shimon, der Älteste der fünf Levine-Kinder, war natürlich ebenfalls Deckers Halbbruder - ein kontaktfreudiger und humorvoller Mensch, den Decker sehr mochte. Im Lauf der Jahre hatte Decker nur zu Shimon und Jonathan Kontakt gehalten. abgesehen von der jährlichen Schanatova-Neujahrskarte an Frieda Levine. Was den Rest des Levine-Clans betraf, hatte es nach der anfänglichen Euphorie unter den Geschwistern keine weiteren Kontakte gegeben.
    Insgesamt sechsundzwanzig Personen.
    Aus Respekt gegenüber Jonathans Vater wurde über Deckers verwandtschaftliche Beziehung zu den Levines Stillschweigen gewahrt. Alter Levine wusste nicht, dass Frieda, seine geliebte Frau, vor fünfzig Jahren ein uneheliches Kind bekommen hatte, und er hätte sich nie vorstellen können, wie sehr Frieda darunter litt, als sie den Jungen zur Adoption freigab. Aber damit war die Sache noch nicht ausgestanden gewesen. Vor etwa zehn Jahren w ar Decker - während eines Besuchs bei den Lazarus' in Borough Park der armen Frau direkt in die Arme gelaufen und hatte dadurch ihr gesamtes Leben umgekrempelt.
    Doch das

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