Die Schwingen des Todes
schon sehr lange für mich. Die Teilzeitkräfte. um die kümmert sich Chaim. Einstellen und rausschmeißen. Wir haben da einen ziemlichen Durchlauf an Schleppern, den Leuten, die die schweren Kisten im Lager ein- und ausladen. Dafür nimmt man halt jeden, der bereit ist, für den Mindestlohn zu arbeiten. Manchmal sind das Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis, manchmal Jungs, die aus der Highschool geflogen sind, manchmal Studenten, die einen Ferienjob suchen.«
»Alle, die man bekommen kann.«
»Ja. Wenn Sie Fragen dazu haben, wenden Sie sich am besten an Chaim.«
»Das würde ich auch, doch er redet nicht mit mir. Aber ich kann verstehen, warum.«
»Ja, das ist nachvollziehbar«, stimmte der alte Mann zu. »Vielleicht ein andermal.«
»Vielleicht.«
Decker bemerkte, dass die anderen sich enger um Mr. Lieber s charen wollten, um an der mizwa zur Tröstung des Trauernden teilzunehmen - menachem awel. Er stand auf und murmelte die traditionellen hebräischen Worte der Tröstung erst Raisie und ihren Schwestern, dann Mr. Lieber zu. Dann zwängte er sich durch die Menge in den hinteren Teil des Raums.
Chaim und Jonathan waren nicht zu sehen. Nun gut. Unauffällig verließ Decker das Haus. Draußen atmete er erst einmal tief durch. Während er so den gepflasterten Weg zurücklief, hörte er, wie ein Auto mit quietschenden Reifen an den Bordstein fuhr und hielt.
Minda Lieber stieg aus dem verbeulten Auto und schlug die Tür hinter sich zu. Sie war völlig durcheinander und hatte ihr Kleid falsch zugeknöpft. Ihre Perücke war zerzaust und saß schief. Sie schlug mit den Armen um sich und schluchzte hysterisch. Decker hielt sie fest.
»Was ist passiert?«
Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien und schrie, wie er es wagen könne, sie anzufassen - eine verheiratete Frau. Aber Decker packte sie nur noch fester.
»Minda. Was. ist. passiert?«
Die Frau stieß nun schrille Schreie aus. »Sie haben sie gefunden! Sie ist tot! O Gott, sie ist tot. Sie ist tot...«
»Nein!« Deckers Herz hämmerte gegen seine Brust.
»Sie ist tot! Verstehen Sie nicht! Sie ist tot! Sie ist tot! Sie ist t ot!«
Ihre Knie gaben nach. Decker fing Minda auf, als sie bewusstlos wurde.
21
Wutentbrannt raste er mit Vollgas in Richtung Süden, erreichte die Stadt gegen elf und fuhr an der 132. Straße vom Henry Hudson Parkway ab. Einen Block weiter fand er einen Parkplatz und rannte dann hinüber zum Haus. Er drückte wie wild die Klingel. Dieses Mal kam Donattis Stimme aus der Gegensprechanlage. Decker atmete schwer, als er seinen Namen nannte, und hörte Verärgerung in der Stimme des Mistkerls. Aber die Tür wurde trotzdem geöffnet. Der Empfangsbereich war menschenleer kein Wachmann, keine Sekretärin -, was durchaus logisch schien, weil es Mittagszeit war. Decker ging durch den Metalldetektor und löste mit seinen Schlüsseln den Alarm aus. Er machte sich nicht die Mühe zurückzugehen, denn Donatti stand bereits an der Tür. Er trug Jeans und darüber ein weites Hawaiihemd. Decker marschierte an ihm vorbei ins Studio.
Donattis Verärgerung verwandelte sich in Zorn. »Was zum Teufel machen Sie hier eigentlich?«
Auf dem großen Konferenztisch waren Dutzende von Pornofotos ausgebreitet - Schnappschüsse von jungen Mädchen mit geschürzten Lippen und Schlafzimmerblick, die alles Mögliche mit grauhaarigen, schmerbäuchigen Männern anstellten. Obszöne Fotos, die noch widerwärtiger wirkten, weil Donatti ein verdammt guter Fotograf war. Die Wut kochte in Decker und verlieh seinem Gesicht etwas Raubtierhaftes. Donatti bemerkte den Ausdruck und wurde seinerseits immer wütender.
»Wofür zum Teufel hältst du dich eigentlich? Verpiss dich, sonst.«
Decker packte ihn an der Gurgel und schleuderte ihn gegen die Wand. Mit seinem ganzen Körpergewicht presste er sein Knie in Donattis Unterleib und verstärkte den Griff um den Hals des Scheißkerls, während er dessen Hände mit den Schultern abwehrte. Je mehr Donatti sich wehrte, desto größer wurde der Druck, den Decker auf seine Kehle ausübte.
»Was hast du mit ihr gemacht?«, knurrte Decker.
Atemlos und mit hochrotem Gesicht gelang es Chris, den Kopf zu schütteln.
»Rede, verdammt noch mal!« Er drückte noch fester zu und wiederholte, diesmal lauter: » Was hast du mit ihr gemacht?« »Mit wem?«, krächzte Donatti. »Shayndie! Sie ist tot! Was hast du...« »Nichts.«
»HÖR AUF ZU LÜGEN, DU MIESES STÜCK SCHEISSE! WAS HAST DU MIT IHR GEMACHT?«
»Kann nicht.«
Er
Weitere Kostenlose Bücher